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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 282 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

In einer medienethnografischen Untersuchung von 14- bis 63-jährigen Personen der marokkanischen, russischen<br />

und türkischen Diaspora (ebd.) wurde z. B. deutlich, dass das Leben der befragten Menschen durch eine sehr<br />

umfassende translokale kommunikative Vernetzung bzw. „kommunikative Konnektivität“ gekennzeichnet ist, in<br />

die verschiedene Medien einbezogen sind (Hepp u. a. 2011, S. 9). Differenziert wurde in der Studie zwischen<br />

drei verschiedenen Typen „medialer Migranten und Migrantinnen“: Herkunftsorientierte, Ethnoorientierte und<br />

Weltorientierte. Alle drei Typen nutzen Medien, um ihre Beziehungsnetze zu pflegen und – damit eng verknüpft<br />

– ihre Identität auszugestalten. Unter den Weltorientierten befinden sich in der Tendenz eher jüngere Menschen<br />

(ebd., S. 222).<br />

Bei den „Herkunftsorientierten Migranten und Migrantinnen“ prägt die subjektiv gefühlte Zugehörigkeit zu<br />

ihrer Herkunftsregion nachhaltig das Leben in der „Fremde“. Sie schlagen vor allem mit Hilfe der Massenmedien<br />

eine Brücke zu den Kommunikationsräumen ihrer Herkunftsregion. Gleichzeitig halten sie durch ihre mediatisierte<br />

Interaktion (Chat, E-Mail, Telefon usw.) mehr oder weniger intensiven Kontakt zu den Verwandten<br />

und Bekannten in der Ferne.<br />

Die „Ethnoorientierten“ zeichnen sich durch ein Spannungsverhältnis zwischen Herkunft und nationalem<br />

Migrationskontext aus. Sie nutzen die unterschiedlichen Medien zum Einen um kommunikative Kontakte zur<br />

Herkunft zu halten bzw. neu aufzubauen und zum Anderen, um sich intensiv im aktuellen lokalen Lebenskontext<br />

zu vernetzen.<br />

Die „Weltorientierten“ artikulieren ihre Identität im Unterschied zu den vorherigen Typen jenseits des ethnischnationalen<br />

Kontextes. Sie nutzen das Internet und hier insbesondere Chats und Social Web-Angebote, um sich<br />

mit Personen ihres Netzwerks in Beziehung zu setzen. Das Kommunikationsnetzwerk umfasst dabei eine Vielzahl<br />

an Personen, zu denen der Kontakt zum Teil über Beruf und Ausbildung, zum Teil über private Anlässe<br />

aufgebaut wurde (ebd., S. 245).<br />

Junge Menschen schaffen sich somit auch online Räume, in denen sie migrations- und kulturspezifische Themen<br />

zusammen mit Anderen kommunikativ verarbeiten können. Es deutet einiges darauf hin, dass auch diese<br />

Communities der Gruppe der Gleichaltrigen mit gleichem ethnischem Hintergrund einen „Freiraum bereitstellen,<br />

in dem es vielen Jugendlichen erst möglich wird, sich mit Nähe und Distanz zur Herkunftskultur ebenso wie<br />

mit kulturellen Anpassungsanforderungen der Mehrheitsgesellschaft auseinanderzusetzen und hier einen eigenen,<br />

selbstbestimmten Weg zu finden“ (Boos-Nünning/Karakaşoğlu 2005, S. 162).<br />

Hugger (2009) bezeichnet Online-Communities von Jugendlichen mit Migrationshintergrund als „natio-ethnokulturelle<br />

Hybridumgebungen“, womit die Online-Communities als sozial-räumliche Rahmung wahrgenommen<br />

werden, innerhalb derer junge Menschen ihre fremd- und selbstzugeschriebene Zugehörigkeit verarbeiten und<br />

sich in ihren hybriden Zugehörigkeitsformen positionieren können sowie Anerkennung erfahren. Anhand von<br />

20 Face-to-Face-Interviews mit Jugendlichen der sogenannten „zweiten Generation“ von Migranten und<br />

Migrantinnen, die drei vornehmlich in türkischer Sprache geführte Online-Communities besuchen, zeigt er, dass<br />

diese Hybridumgebungen dazu genutzt werden, „prekäre“ Zugehörigkeiten (Mecheril 2003) zum Ausdruck zu<br />

bringen und die damit verbundenen Anerkennungsprobleme zu verarbeiten. Dabei werden mehrere unterschiedliche<br />

Muster der Vergewisserung natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit in den Online-Communities sichtbar: So<br />

gibt es einige Jugendliche, die versuchen, mithilfe des Agierens in der Online-Community biografische wie<br />

gemeinschaftliche türkische Wurzeln zu entdecken, andere sehen sich gezwungen, biografische wie gemeinschaftliche<br />

Wurzeln im Rahmen der Online-Community zu vereindeutigen und sich für den einen oder anderen<br />

natio-ethno-kulturellen Kontext zu entscheiden, wieder andere versuchen, biografische wie gemeinschaftliche<br />

türkische Wurzeln zu bewahren oder sind bestrebt, ihre „prekäre“ Zugehörigkeit zu festigen und anderen zu<br />

vermitteln; eine weitere Gruppe versucht, biografische Kontinuität herzustellen (Hugger 2009). Nach Hugger<br />

stellen die natio-ethno-kulturellen Hybridumgebungen des Internets damit keinen Erfolgsgarant zur Selbstfindung<br />

junger Türken und Türkinnen in Deutschland dar. Wenn die Personen über die Frage kollektiver Eigenschaften<br />

in historischer und gegenwärtiger Perspektive zusammen mit Anderen reflektieren, dann findet dies<br />

abhängig von ihren ganz persönlichen Zugehörigkeitserfahrungen und Verarbeitungsweisen statt. Positiv bewertet<br />

wird von den jungen Menschen in der Studie, dass sie in diesen Räumen kaum oder gar nicht mit rassistischen<br />

Äußerungen von Personen der deutschen Mehrheitsgesellschaft konfrontiert werden (Hugger/Özcelik<br />

2010, S. 145) und sie sich innerhalb der Community ihrer Mehrfachzugehörigkeiten vergewissern können<br />

(ebd.). Androutsopoulos wählt eine ähnliche Formulierung wie Hugger und bezeichnet Portale für Migrantinnen<br />

und Migranten als „hybride Diskursräume […], die Aspekte von ‚Dort‘ (Herkunft) und ‚Hier‘ (Aufenthalt) aufeinander<br />

beziehen, ohne mit den beiden Bezugskulturen identisch oder von ihnen genau abgegrenzt zu sein. Sie

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