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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 113 – Drucksache 18/11050<br />

1.3.4.2 Ringen um Partizipation: Das Beteiligungsdilemma<br />

Neben dem Ringen um Freiräume ist ein grundlegender Kristallisationspunkt der Jugendpolitik, die Stimme der<br />

Jugendlichen stärker auf unterschiedlichen Ebenen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Dieses Ringen<br />

findet sich allerorts: Jugendliche sollen im politischen Geschehen – regional und lokal, aber auch bundesweit –<br />

stärker ihre Interessen vertreten können bzw. sie sollen in ausgewählten Bereichen mit ihren Positionen und<br />

Meinungen einbezogen werden (vgl. oben). Dieses „Ringen“ wird gegenwärtig auch als Ausdruck einer wahrgenommenen<br />

Repräsentationskrise der bestehenden Verfahren und organisierten Beteiligungsformen verstanden.<br />

Wenn somit über Beteiligung diskutiert wird, dann ist gemeint, dass die bestehenden organisierten Beteiligungsformen<br />

die jungen Menschen nur begrenzt erreichen oder sie zu wenig in Entscheidungsprozesse einbinden.<br />

Verstärkt wird diese Repräsentationskrise durch die demografischen Verschiebungen, die die Vertreter der jungen<br />

Generation in der politischen Entscheidungsfindung quantitativ reduziert und sie zur einflussschwächsten<br />

Altersgruppe werden lässt (vgl. Abs. 1.3.2). Vor diesem Hintergrund ist eine umfassende Diskussion zur Stärkung<br />

der Beteiligung und Partizipation von jungen Menschen entstanden. Innerhalb der „politischen Beteiligungslandschaft“<br />

sind vielfältige Beteiligungsformen anzutreffen, die sich schematisch in drei Stichworten zusammenfassen<br />

lassen: a) Eine jugendpolitische Teilhabe ohne Entscheidungseinfluss, etwa wenn Jugendliche<br />

dazu aufgefordert werden, ihre Ansichten zu einem bestimmten Themenfeld zu artikulieren und so quasi auch<br />

eine „Jugendmeinung“ eingeholt wird; b) eine partielle Teilhabe mit jugendpolitischer Mitbestimmungsmöglichkeit<br />

(etwa wenn es um jugendpolitische Themenfelder geht, die ausschließlich die junge Generation betreffen<br />

und repräsentative Teilentscheidungen von Vertreterinnen und Vertretern der jungen Generation eingeholt<br />

werden, die andere Entscheidungen ergänzen) und c) die Übergabe von Verantwortung an die junge Generation,<br />

d. h. hier entscheiden Jugendliche selbstständig und eigenmächtig über ausgewählte Themen.<br />

Insgesamt ist das gegenwärtige Ringen um Partizipation und Beteiligung in Bezug auf das Jugendalter aber auch<br />

in den Kontext der politischen Kultur der Bundesrepublik Deutschland zu stellen. Allgemein können Partizipation<br />

und Demokratie als Geschwister der zivilgesellschaftlichen politischen Kultur angesehen werden. So kann<br />

für das Jugendalter formuliert werden, dass mit der sukzessiven Zunahme demokratischer Entscheidungsverantwortung<br />

auch die Partizipationsformen im Alltag erweitert und ermöglicht werden müssten. Dieser Zusammenhang<br />

von Demokratie und Partizipation ist im institutionellen Gefüge des Aufwachsens gegenwärtig allerdings<br />

nur wenig mit Perspektiven sozialer Teilhabegerechtigkeit, mit Jugendrechten, demokratischen Milieus<br />

und einer politischen Jugendbildung verknüpft und reflektiert.<br />

Hier setzt das Beteiligungsdilemma an: Vorherrschend ist gegenwärtig ein Diskurs, in dem Partizipation als<br />

Dimension der Vermittlung von institutionellen mit lebensweltlichen Prozessen im Jugendalter gesehen wird. In<br />

diesem Zusammenhang wird die häufig formulierte These, dass Partizipation vor allem einen zentralen Modus<br />

politischer und sozialer Integration Jugendlicher darstelle, im institutionellen Interesse des Aufwachsens verengt.<br />

Partizipation erhöht demnach, durch die damit verbundene Koproduktion Jugendlicher, die Identifikation<br />

mit Institutionen, denen sie zugehören sollen. Entsprechend stellen dienstleistungstheoretische Zugänge Interaktion<br />

als „operativen Kern“ der Partizipation heraus (vgl. Schnurr 2001). Dabei bleibt aber offen, ob diese interaktive<br />

Form der „Nutzerpartizipation“ Jugendlicher an öffentlichen Institutionen neben einer Herstellung von<br />

Passungsverhältnissen in den Bildungs- und Hilfearrangements auch der Demokratisierung institutionalisierter<br />

Prozesse dient. Diese Frage wird mitunter durch ein nebulöses Gerede von „Win-win-Konstellationen“ überdeckt.<br />

Habermas (1992) hat diese institutionell gebundene Partizipationsperspektive vor mehr als zwei Jahrzehnten<br />

bereits zu reformieren versucht, indem er sie als kommunikatives Medium der Machtbildung in einen Prozess<br />

offener und allen zugänglicher Kommunikation transferieren wollte. Damit könne vor allem auch der bürokratischen<br />

Verselbstständigung administrativer Systeme vorgebeugt und die institutionelle Macht gleichsam in<br />

Rückkoppelung an kollektive alltägliche Meinungs- und Willensbildungsprozesse offen gehalten werden. Dieses<br />

würde bedeuten, dass Formen der Partizipation Jugendlicher auch immer Auskunft darüber geben müssten,<br />

wie sie das gegebene Machtgefälle ausgleichen.<br />

Insgesamt erscheint die Diskussion um Partizipation im Jugendalter im institutionellen Gefüge des Aufwachsens<br />

heute aber nur selten mit entsprechenden Strategien des Machtausgleichs und einer politischen Kultur<br />

kommunikativer Konfliktaushandlung verbunden oder durch eine „Pädagogik der Teilhabe“ (Liebau 1999)<br />

geprägt, in der auch die alltagskulturellen Voraussetzungen für die Ermöglichung politischer Teilhabe themati-

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