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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 487 – Drucksache 18/11050<br />

beschränkende Aufnahme oder aber sogar auf eine mehr oder weniger offene Feindseligkeit bei gleichzeitiger<br />

Schwäche einer toleranten Zivilgesellschaft und zurückhaltenden Behörden.<br />

Diese Feindseligkeit und Ablehnung werden nicht nur medial in vielfältiger Form vermittelt, sondern sind auch<br />

außerhalb der Einrichtungen spür- und erlebbar, zumal sie mitunter in Gewalt und unmittelbare Bedrohung<br />

umschlagen. Die berichteten Erfahrungen der Jugendlichen wie auch die Daten des Bundeskriminalamtes bestätigen<br />

dies (vgl. Abs. 7.4). Besonders belastend ist dabei zu wissen, dass junge Geflüchtete nicht nur Opfer dieser<br />

Aggression und Ablehnung sind, sondern fast immer äußerer Anlass der Auseinandersetzungen, weil die sogenannte<br />

„Flüchtlingskrise“ vielerorts zu einem Kristallisationspunkt der politischen Auseinandersetzung und<br />

Radikalisierung geworden ist. Die Förderung der zivilgesellschaftlichen Unterstützung vor Ort – vor allem des<br />

vielfältigen ehrenamtlichen Engagements in den Erstaufnahmeeinrichtungen und den Gemeinschaftsunterkünften<br />

– und die offensive Auseinandersetzung mit Fremden- und Muslimfeindlichkeit bzw. genauer: mit Geflüchtetenfeindlichkeit<br />

und den sich darin widerspiegelnden gesellschaftlichen Konflikten, sind deshalb ebenfalls<br />

zentrale Herausforderungen einer Politik, die auf die Verbesserung der Lebenslagen junger Geflüchteter abzielt.<br />

In diesem Zusammenhang sind auch in den sozialen Diensten die Erfahrungen des vergangenen Jahres intensiv<br />

auszuwerten. Bisher existiert keine verlässliche und eingespielte fachliche Infrastruktur, die eine Vergleichbarkeit<br />

zwischen den Kommunen ermöglichen würde. Dabei stehen die sozialen Dienste in der Unterstützung von<br />

geflüchteten jungen Menschen vor einer komplexen Aufgabe und müssen hier Leistungen, Qualifizierungsangebote<br />

sowie Beratungs- und Unterbringungsformen mit gesundheitsbezogenen Diensten flexibel zusammenbringen<br />

und, den jeweiligen Herausforderungen entsprechend, organisationale Rahmungen entwickeln.<br />

Dabei können u. a. fachliche Entwicklungen weiterhelfen, wie sie in den vergangenen Jahren in den Hilfen zur<br />

Erziehung – z. B. in Bezug auf die integrierten Hilfen – entwickelt wurden. Vor allem mit Blick auf geflüchtete<br />

junge Menschen ist eine neue Initiative für integrierte fallbezogene und sozialräumliche Hilfen notwendig, die<br />

von den Bedarfslagen der jungen Menschen ausgeht. Dies bedeutet kein Absenken der Standards, sondern ein<br />

Anknüpfen an innovative Perspektiven und fachliche Qualitätskriterien der letzten Jahre in den Hilfen zur Erziehung.<br />

Hier ist auch die Heimaufsicht in neuer Weise gefordert. Somit sind Angebote zu gestalten, die der<br />

komplexen Herausforderung auf mehreren Ebenen der Qualifikationen, der Gesundheit, der sozialen und persönlichen<br />

Sicherheit, aber auch des Jugendalters insgesamt gleichzeitig gerecht werden.<br />

Die sozialen Dienste müssen sich aber vor allem damit auseinandersetzen, was Flucht im Jugendalter bedeutet<br />

und wie die jungen Geflüchteten mit den Kernherausforderungen des Jugendalters in Deutschland konfrontiert<br />

werden. Dazu kommen zentrale Fragen, wie die Mehrsprachigkeit sozialstaatlicher Hilfeverfahren und -<br />

arrangements, Schutzkonzepte in Einrichtungen, die Anwendung supranationalen Rechts, die biografische Perspektivplanung<br />

angesichts mitunter unsicherer Bleibeperspektiven, Transitmigration, gesundheitliche Belastungen,<br />

Qualifizierungsprozesse und die transnationale Verflechtung der Biografien sowie die transnationale kommunikative<br />

Vernetzung. In die Entwicklung von Infrastrukturen und entsprechenden Standards sollten die Erfahrungen<br />

der Selbstorganisationen von Geflüchteten, die Organisationen aus der Zivilgesellschaft sowie der<br />

Fachkräfte, die in den vergangenen Jahren hier eine Expertise aufgebaut haben, intensiv eingebunden werden.<br />

Weiterhin hat eine fachliche Diskussion um die Unterstützung von jungen Menschen ohne Aufenthaltsrechte<br />

oder Bleibeperspektive bisher noch nicht annähernd begonnen. Hier allein ordnungspolitisch zu reagieren, hilft<br />

nur begrenzt weiter, da diese junge Menschen in Deutschland leben, vielfach hier arbeiten und nicht selten in<br />

Milieus geraten, in denen ihnen jede weitere Perspektive verbaut wird.<br />

Schließlich ist ebenfalls darauf zu verweisen, dass die gegenwärtige Rechtslage widersprüchlich ist. Auf der<br />

einen Seite begründen z. B. bestimmte Hilfebedarfe Aufenthaltsansprüche; auf der anderen Seite gibt es Lesarten,<br />

die die Inanspruchnahme von Jugendhilfeleistungen und anderen Sozialleistungen als Ausweisungsgründe<br />

interpretieren. Es bedarf der Harmonisierung der unterschiedlichen Gesetze mit dem Ziel, dass die Inanspruchnahme<br />

von Hilfeleistungen keine negativen Auswirkungen auf den Aufenthaltsstatus hat. Insgesamt sollte die<br />

UN-KRK hier die Grundlage der gesetzlichen Regulationen darstellen. Nur wenn die gesetzlichen Klärungen<br />

vorgenommen werden und es gelingt, das Wissen der Fachverbände und zivilgesellschaftlich Engagierten, die<br />

bereits seit vielen Jahren mit geflüchteten jungen Menschen arbeiten – auch durch die Unterstützung von materiellen<br />

Ressourcen – einzubinden, wird es zu einer entsprechenden Infrastruktur sozialer Dienste für geflüchtete<br />

junge Menschen – ob unbegleitet oder begleitet – kommen.

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