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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 336 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

größere Bedeutung beigemessen werden kann, um Jugendlichen eine Balance zwischen Bedeutungsgewinn und<br />

-begrenzung der schulischen Lern- und Bildungserfahrung zu ermöglichen.<br />

Ganztagsschulen stehen programmatisch für die schulischen Ziele der Qualifikation und fachlichen Kompetenzbildung<br />

genauso wie für die Vorstellung einer veränderten Schule mit der Qualität eines Lern- und Lebensortes<br />

und zusätzlicher Möglichkeiten der sozialen Erfahrung und der Persönlichkeitsbildung (vgl. Hurrelmann u. a.<br />

2014, S. 76f.). Das kann dann auch Ziel einer Ganztagsschule im Jugendalter sein, die ihre Attraktivität durch<br />

eine Bezugnahme auf die Alltags- und Erfahrungswelten Jugendlicher gewinnt und sich in Relation zu den<br />

Peers, Medien und der Gesellschaft entwirft, sich mithin als Teil dieses Zusammenspiels versteht und ihre Funktionen<br />

teilweise daraufhin neu justiert (vgl. Kap. 3, Kap. 4 und Abs. 5.5). Dabei bleiben die genannten Funktionen<br />

der Schule und die damit erfolgende gesellschaftliche Regulierung von Jugend bestehen, und auch die gesellschaftlichen<br />

Adressierungen an Jugendliche (Bildung als Kompetenzerwerb, Betonung des beruflich Verwertbaren<br />

und Berufsorientierung, möglichst gelingende Übergänge zwischen den Bildungsinstitutionen usw.)<br />

verändern sich nicht grundsätzlich durch die ganztägige Organisation von Schule.<br />

Hierzu kann die Analyse von Schule als Kontext von „Modernisierungsantinomien“ (Helsper 2012) und als<br />

„ambivalenter Jugendraum“ (Helsper 2015) hilfreich sein. Trotz der intensiveren individuellen Fördermöglichkeiten,<br />

Leistungssteigerungen und einer möglichen Reduzierung von Ungleichheitsverhältnissen in schulischen<br />

Bildungsprozessen, „wird damit aber auch der Zugriff der schulischen Ansprüche auf das jugendliche Selbst<br />

weiter intensiviert, das im Zuge eines dominant werdenden hegemonialen Subjektentwurfs der Kompetenz- und<br />

Leistungsoptimierung schulisch stärker vereinnahmt werden kann. Zweitens verstärkt dies eine Tendenz, die<br />

schon in den 1980er Jahren als fortschreitende Individualisierung von Jugendlichen in der Schule diagnostiziert<br />

wurde“ (Helsper 2015, S. 135).<br />

Schule ist gleichermaßen institutioneller Ort der Ausübung gesellschaftlicher Funktionen – allen voran der Qualifizierung<br />

und der Allokation –, sie ist aber auch ein Raum der sozialen Erfahrung, Integration und Sozialisation<br />

sowie letztlich ein Ort der Gleichaltrigenkulturen und des Erlebens von Peerbeziehungen. All diese Aspekte<br />

überlagern sich, werden von Jugendlichen unterschiedlich erfahren, bewertet und bewältigt und finden ihren<br />

Ausdruck in vielfältigen Formen der Positionierung. Zugleich sind sie Ausdruck einer spezifischen Form von<br />

Regulierung Jugendlicher in der Gesellschaft (vgl. Abb. 5‒1). Die Modernisierungsambivalenzen und die gesellschaftlichen<br />

Funktionen von (Ganztags-)Schule konstruieren eine Schuljugend und regulieren diese normativ,<br />

während Lern- und Bildungsprozesse Jugendlicher in (ganztägig organisierten) Schulen als Bewältigungslage<br />

angesehen werden können und zu einer individuellen Transformation der Funktionen führen. Ganztagsschulen<br />

wirken auf dieses Wechselverhältnis mit ihren spezifischen strukturellen und pädagogischen Mitteln ein.<br />

Die Auseinandersetzung mit Schule als Teil gesellschaftlicher Regulierung von Jugend kann dazu beitragen, die<br />

Ziele der Ganztagsschulentwicklung genauer zu bewerten. Veränderungen von Schule und ihrer Angebote, ihrer<br />

Leitvorstellungen – wie z. B. Zeit und Raum für individuelle Förderung, Vielfalt erleben, soziale Kompetenzen<br />

erlernen, Partizipation ermöglichen (vgl. Thurn 2014) – sowie auch der Erwartungen an Schülerinnen und Schüler,<br />

denen das „Jugendlich-Sein“ auch im schulischen Alltag stärker zugestanden wird, deuten sich an. Damit<br />

Anerkennung in Schulen aber nicht sofort mit Anpassung an schulische Normen verbunden wird, sollten die<br />

Räume des sozialen Lernens, des Erlebens von Solidarität und des Engagements füreinander nicht lediglich als<br />

potenzielle Handlungsräume, vielmehr als konkrete Ermöglichungsräume verstanden werden (vgl. Hummrich<br />

2011, 2015).

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