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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 244 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

tikverdrossenheit noch ein Rückzug ins Private als dominante Handlungsformen sichtbar, vielmehr werden<br />

darüber die spezifischen Perspektiven der Jugendlichen auf Ungerechtigkeiten, Gewalthandlungen, Drogen oder<br />

auch prekäre Zukunftschancen deutlich, mit denen sie unmittelbar konfrontiert sind. Ebenso verweisen die Aktivitäten<br />

der Jugendlichen darauf, dass sie durchaus bereit sind, sich für Andere oder soziale Themen zu engagieren.<br />

Auch wenn das Engagement auf den unmittelbaren sozialen Nahraum bezogen und weniger global verankert<br />

ist (ebd., S. 69ff.), verweist dies nicht auf Politikabstinenz, sondern eher auf fehlende Möglichkeiten und<br />

Resignation im Hinblick auf eine erfolgversprechende Einflussnahme. Etablierte Politik erscheint den Jugendlichen<br />

entfremdet und fernab ihrer eigenen Lebensrealität und ihres Einflussbereichs, sodass sie sich offizieller<br />

Politik gegenüber eher machtlos fühlen (ebd.). Zudem weist die Untersuchung von Arnold u. a. (2011) darauf<br />

hin, dass es vor allem die zu hohe Kompliziertheit und Komplexität der Sprache ist, die in etablierter Politik und<br />

Medienberichterstattung verwendet wird, die insbesondere, aber nicht nur, Jugendliche, die über niedrigere<br />

Schulabschlüsse verfügen oder diese anstreben, davon abhält, sich intensiver mit politischen Inhalten zu befassen.<br />

Wellgraf (2012) weist in seiner Studie über Berliner Hauptschülerinnen und Hauptschüler zudem auf politische<br />

Implikationen auch von Emotionen und Affekten hin, die teilweise auch als Reaktionen auf gesellschaftliche<br />

Ungleichheitsverhältnisse gedeutet werden können, die sich für die betroffenen Jugendlichen nicht anders artikulieren<br />

lassen. Wutausbrüche von Jugendlichen werden jedoch zumeist nicht als emotionale Formen von Kritik<br />

betrachtet, mit denen auf Demütigungen, Herabwürdigungen oder empfundene Ungerechtigkeiten reagiert wird,<br />

sondern häufig als minderwertiges oder fehlgeleitetes Verhalten gedeutet (Wellgraf 2012, S. 264ff.).<br />

Da schulische und außerschulische Angebote eher den Ausdrucksformen und Präferenzen von Jugendlichen aus<br />

mittleren und höheren Bildungs- und Sozialmilieus entgegenkommen, besteht die Gefahr, dass innerhalb der<br />

etablierten Institutionen, wie der Schule, aber auch in Angeboten der politischen Bildung, die sozial- und gesellschaftskritischen<br />

Perspektiven in den Äußerungen benachteiligter Jugendlicher nicht als berechtigte Kritiken<br />

wahrgenommen, ihre inhaltlichen und ästhetischen Präferenzen nicht als milieuspezifischer Ausdruck und anschlussfähiges<br />

politisches Potenzial (an)erkannt und „im schlimmsten Fall aus einer ‚bildungsbürgerlichen Perspektive<br />

entwertet‘ werden“ (Thomas 2012, S. 334; Wellgraf 2012, S. 268). Kritik und deren milieuspezifische<br />

Ausdrucksformen werden dann eher als Verletzungen der geltenden sozialen Normen ad absurdum geführt,<br />

denn „die gleichen gesellschaftlichen Strukturen und Bildungsangebote inkludieren die Einen und marginalisieren<br />

gleichzeitig die Anderen“ (Thomas 2012, S. 335).<br />

Insgesamt zeigt sich, dass politische Aktivitäts- und Partizipationsformen von Jugendlichen über Mitgliedschaften<br />

und Organisationsgebundenheit nicht angemessen zu erfassen sind. Vielmehr gilt es, nach den Inhalten jugendlicher<br />

Aktivitäten und deren Bezügen zum Gemeinwesen zu fragen, die sich häufiger auf die unmittelbaren<br />

Lebens- und Alltagsthemen der Jugendlichen beziehen als auf staats- und parteipolitische Zusammenhänge bzw.<br />

Themen, die deutlich außerhalb ihres Einflussbereichs liegen. Unkonventionelle, informelle und zeitlich begrenzte<br />

Formen politischer Partizipation und gesellschaftlichen Engagements, aber auch ästhetische Praktiken<br />

und andere Artikulationsvarianten von Kritik geraten so viel stärker in den Blick und bilden wichtige Möglichkeitsräume<br />

politischer Sozialisation im Jugendalter.<br />

Eine Distanz zur Parteien-Politik und dem politischen System, die ein Großteil der Jugendlichen und insbesondere<br />

Jugendliche aus benachteiligten Sozialmilieus artikulieren, bedeutet unter einem weiteren Blick weder eine<br />

Abkehr von demokratischen Werten und Normen noch ein fehlendes Interesse und Engagement Jugendlicher im<br />

Gemeinwesen – was u. a. an Hand vielfältiger Formen sozialen und politischen Engagements sichtbar wird. Die<br />

Markierung von Jugendlichen als politikverdrossen ignoriert, dass politikbezogene Artikulations- und Engagementformen<br />

Jugendlicher nicht in den klassischen Angeboten zur Beteiligung aufgehen, sondern unkonventionelle,<br />

mediale, jugendkulturelle und bewegungsorientierte Ausdrucksformen präferieren. Zu der Frage, was<br />

Jugendliche mit Politik tun, kann festgehalten werden, dass sie sich, ihrer Repräsentation im politischen System<br />

entsprechend, jenseits positionieren und ihre Sichtweisen artikulieren. So wird ein relevanter Teil der Jugendlichen<br />

und jungen Erwachsenen zu Akteuren der Beobachtung und Kritik demokratischer Prozesse.<br />

Dabei wird auch deutlich, dass die verschiedenen nachgezeichneten Formen sozialen und politischen Engagements<br />

ähnliche Bedingungszusammenhänge aufweisen, zu denen u. a. politisches Interesse, lokale Verankerung<br />

und ein hohes Qualifikationsniveau gehören. Andersherum bedeutet dies, dass Jugendliche, für die institutionalisierte<br />

politische Prozesse aufgrund von Bildungsstand oder anderen Barrieren nicht unmittelbar zugänglich<br />

sind, über weniger Möglichkeiten zur Beteiligung verfügen und damit auch weniger an politischer Bildung teilhaben.

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