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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 107 – Drucksache 18/11050<br />

weigerte. Die damit angestoßenen Prozesse mündeten u. a. in Forderungen zur Demokratisierung der Institutionen,<br />

in den Ausbau des Bildungssystems, in die Reform des Jugendhilfegesetzes sowie in die Etablierung einer<br />

politischen Kultur, die jungen Menschen ein Stimmrecht gab. Durchgesetzt wurden die damals angestoßenen<br />

jugendpolitischen Diskurse und Politiken im Kontext eines gesellschaftlichen Zusammenhangs, in dem die Jugend<br />

den entscheidenden demografischen und politischen Faktor darstellte, in dem sozialstaatliche Instrumente<br />

aufgebaut und individuelle Rechte gegenüber staatlichen Handlungsfeldern geltend gemacht wurden. Eine jugendpolitische<br />

Agenda war unter diesen Bedingungen konsensfähig.<br />

Wenn aktuell nach langer Kritik jugendpolitische Zielstellungen auf verschiedenen Ebenen wieder in den Blick<br />

genommen werden, dann geschieht dies unter gänzlich anderen demografischen, politischen und ökonomischen<br />

Bedingungen. So stellen Jugendliche gegenwärtig nicht mehr den zahlenmäßig stärksten Generationszusammenhang:<br />

Selbst wenn wir davon ausgehen würden, dass sich alle Jugendlichen der gegenwärtigen Jugendgeneration<br />

an den vielfältigen Prozessen einer parlamentarischen Demokratie beteiligen würden, könnten sie – rein<br />

quantitativ – keine Mehrheit in einer Abstimmungsfrage erzeugen. Das zeigt schon der einfache Gang zur<br />

Wahlurne für die Bundestagswahl, wenn im Januar 2014 mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 festgestellt<br />

wird, dass „ältere Wähler immer stärker den Wahlausgang (beeinflussen)“ (Statistisches Bundesamt 2014a). Die<br />

Ursachen dafür seien in zwei Phänomenen zu finden: Einerseits stelle die Gruppe der über 60-Jährigen derzeit<br />

ein Drittel der Wahlberechtigten, während die Gruppe der unter 30-Jährigen lediglich ein Sechstel ausmache<br />

(von 61,9 Mio. Wahlberechtigten war knapp die Hälfte zwischen 30 und 59 Jahren, ab 60: 21,3 Mio., unter 30:<br />

9.8 Mio.; vgl. ebd.). Andererseits zeige sich, dass sich die Gruppe der ab 60-Jährigen überdurchschnittlich an<br />

Wahlen beteilige, während die jüngeren Altersgruppen im Verhältnis dazu nur unterdurchschnittlich häufig<br />

wählen gehen (vgl. ebd.). Dass diese Entwicklung nicht ausschließlich eine Besonderheit der Bundesrepublik<br />

Deutschland darstellt, zeigen die großen Diskrepanzen im Wahlverhalten beim Referendum über den Ausstieg<br />

Großbritanniens aus der EU im Juni 2016, wo insbesondere ältere Wählerinnen und Wähler mit ihrer EU-<br />

Skepsis den Ausgang der Wahl beeinflussten.<br />

Politisches Engagement von Jugendlichen und jungen Erwachsenen tritt vor diesem Hintergrund nicht als fokussiertes<br />

generationales Engagement für spezifische Ziele in Erscheinung, sondern wirkt hochgradig differenziert<br />

in Zielstellungen, Organisations- und Beteiligungsformen. Jugendliche sind – freilich mit unterschiedlichem<br />

Institutionalisierungsgrad und verschiedenen Beteiligungsformen – politisch aktiv in Jugendverbänden,<br />

sozialen Bewegungen und Protestszenen sowie in lokalpolitischen und interessenbezogenen Zusammenhängen<br />

(vgl. hierzu auch Kap. 3).<br />

Entsprechende Räume der Beteiligung und des Protests stellen jenseits der etablierten und mit Entscheidungsbefugnis<br />

versehenen politischen Institutionen differenzierte politische Aktionsräume in der pluralisierten Gesellschaft<br />

dar. Die politische Teilhabe Jugendlicher in diesen Arenen steht dabei im Widerspruch zur Stagnation<br />

ihrer ausgesprochen niedrigen Beteiligung an Wahlen und zu ihrer Zurückhaltung gegenüber parteipolitischem<br />

Engagement. Sie unterliegt, das zeigen Studien zum jugendlichen Ehrenamt seit längerem (z. B. Picot 2001),<br />

anderen Teilhabeformen: zielgenau, kurzfristig, unverbindlich – politische Beteiligung wird dabei zum Projekt<br />

der Durchsetzung eines spezifischen Interesses im Kontext einzelner politischer Entscheidungszusammenhänge.<br />

So konnten 2015 bspw. umweltpolitische Aktionen, wie die Beteiligung junger Menschen an den Protestaktionen<br />

gegen den anhaltenden Landschaftsraub durch den Kohlebau genauso beobachtet werden, wie ein kommunales<br />

jugendpolitisches Engagement in der Mobilisierung von jungen Menschen und Gemeinderatsmitgliedern<br />

für den Bau eines Skateparks oder die sozialpolitische Initiative Jugendlicher zur Verteidigung des Rechts auf<br />

Asyl im Kontext der teilweise gewalttätigen Proteste gegen den Bau von Unterkünften für geflüchtete Menschen<br />

überall in Deutschland. Diese wenigen Beispiele zeigen, dass junge Menschen hier nicht nur für ihre eigenen<br />

Interessen politisch aktiv werden, sondern auch Phänomene der gesellschaftlichen Entwicklung sowie<br />

den Erhalt kollektiver Rechte und einer pluralen sozialen Ordnung im Blick haben. Jugendliches Protesthandeln<br />

im Kontext sozialer Bewegungen und regionaler Initiativen unterliegt thematischen Fokussierungen, die nicht in<br />

erster Linie jugendpolitische Themen, sondern allgemeine gesellschaftliche Missstände und Missrepräsentationen<br />

zum Gegenstand haben. In diesem Zusammenhang sind nicht nur die bekannten und inzwischen bereits<br />

tradierten Formen umweltpolitischer, menschenrechtsbezogener und kapitalismuskritischer Bewegungen zu<br />

nennen. Auch die z. T. massiven und gewaltförmigen Jugendproteste in vielen europäischen Städten im letzten<br />

Jahrzehnt, in denen gesellschaftlich marginalisierte und politisch abgewertete junge Menschen für ihre soziale,<br />

wirtschaftliche und politische Teilhabe streiten, sind hier einzuordnen (vgl. etwa Schäfer/Witte 2016). Sie sind<br />

Ausdruck sowohl der ökonomischen Differenzen zwischen Nord- und Südeuropa wie der Generationenpolitik in<br />

Europa insgesamt.

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