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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 362 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

5.5 Jugendorientiert und kooperativ – Koordinaten einer Ganztagsschule im Jugendalter<br />

Mit dem Ausbau der Ganztagsschulen ist eine Schulentwicklung forciert worden, die mit zahlreichen Erwartungen<br />

an ihre Leistungspotenziale verknüpft war, nicht zuletzt auch mit der Hoffnung auf eine Reduzierung der<br />

herkunftsbedingten sozialen Unterschiede durch die Schule und in der Schule. Es gibt inzwischen Entwicklungsdynamiken,<br />

die hoffen lassen, dass die Ganztagsschule nach Wegen sucht, ihr Zukunftspotenzial besser<br />

auszuschöpfen. Zweifelsohne ist mit ihr eine Vielzahl an Chancen verbunden, Schule stärker an den Bedarfen<br />

und Interessen Jugendlicher zu orientieren. Ohne Zweifel aber ist die Schule durch das „Projekt Ganztagsschule“<br />

auch mit neuen Herausforderungen konfrontiert.<br />

Gleichwohl hat sie aber, das ist als Fazit der empirischen Bilanz festzuhalten, bislang die darin liegenden Chancen<br />

und Möglichkeiten einer Verschränkung von formaler und non-formaler Bildung noch nicht ausreichend<br />

genutzt. Weiterhin dominiert ein vor allem schulzentrierter Diskurs zwischen den Akteuren, der sich zugleich<br />

als Hindernis einer intensiveren Kooperation zwischen den verschiedenen Partnern erweist. Dies mag vielleicht<br />

daran liegen, dass es an einem verbindlichen und verlässlichen Ganztagsschulkonzept nicht nur bundesweit,<br />

sondern auch in den einzelnen Bundesländern mangelt. Zwar reklamiert die Schule, dass sich das dortige Lernen<br />

nicht allein auf die Vermittlung kognitiver Fähigkeiten und von Wissen beschränkt, sondern zugleich auch soziales<br />

Verhalten vermittelt. Aber dennoch bleibt es in seinem Kern der Idee als ein „primäres Geschäft des Unterrichts“<br />

(Thiersch 2006) verhaftet.<br />

Demgegenüber sind die externen Kooperationspartner der Ganztagsschule in ihrem Grundverhalten gegenüber<br />

der Schule immer noch auffällig ambivalent. Viele suchen immer noch nach ihrer eigenen Rolle und Positionierung.<br />

Oftmals richtet sich ihre Kritik daher pauschal an das System Schule, vergisst dabei aber zugleich die<br />

Unzulänglichkeiten im eigenen System. Das gilt gleichermaßen für die Kinder- und Jugendhilfe, die sich bis<br />

heute in ihrem Selbstverständnis in Teilen immer noch als suchender Akteur versteht und die ihre einzubringenden<br />

Kompetenzen und Besonderheiten nicht ausreichend durch die Schule gewürdigt und berücksichtigt sieht.<br />

Es macht daher Sinn, etwas genauer danach zu fragen, was die Zukunftspotenziale der Ganztagsschule sind,<br />

welche Chancen sich für sie aus einem sinnhaften strukturellen Verhältnis unterschiedlicher Partner im Bildungsprozess<br />

der Kinder und Jugendlichen ergeben, aber auch welche Grenzen sie dabei zu beachten hat, insbesondere<br />

wenn Bildungslandschaften und Bildungsorte insgesamt in den Blick genommen werden und nicht von<br />

vornherein die Schule als alleinentscheidende Institution angenommen wird. Was macht die Ganztagsschule als<br />

Ort der Qualifizierung, der Selbstpositionierung und der Verselbstständigung im Jugendalter aus, und welche<br />

Entwicklungsschritte müsste sie umsetzen, damit die positiven Effekte erreicht werden?<br />

Vor diesem Hintergrund ist die bisherige und zukünftige Entwicklung einer Ganztagsschule im Jugendalter mit<br />

grundlegenden Vergewisserungen konfrontiert: So wird das Potenzial ganztägiger Schulen zwar weithin betont,<br />

mehr Zeit und mehr Raum stehen geradezu pauschal für die Hoffnung auf eine bessere Schule, letztlich auch für<br />

eine effektivere und individuelle Förderung junger Menschen, die in der Ganztagsschule sozial intensivere,<br />

gemeinschaftlich gestaltete und mit unterschiedlichen Bildungsangeboten zugleich vielfältigere Erfahrungsräume<br />

erleben können als in einer Halbtagsschule. Und auch die mit Ganztagsschulen verbundene Idee der interprofessionellen<br />

Gestaltung eines Lern- und Lebensortes wird immer wieder gefordert. Die Empirie zeigt in all<br />

diesen Punkten jedoch Realisierungsprobleme, die mit dem professionellen Selbstverständnis der Akteure ebenso<br />

zu tun haben wie mit den strukturellen, personellen und sachlichen Hindernissen.<br />

So überwindet die ganztägige Organisation von Schule nicht von sich aus die strukturellen Barrieren in der Organisation,<br />

in den Zuständigkeiten und auch in den nicht immer kompatiblen rechtlichen Kodifizierungen der<br />

unterschiedlichen Akteure. Diese Unzulänglichkeiten wurden bisher nicht an die Rahmungen einer veränderten<br />

Ganztagsschule angepasst. Daher stellt sich schon die grundlegende Frage danach, welchen gesellschaftlichen<br />

Stellenwert Ganztagsschulen künftig haben werden und welche Spezifika sie mit Blick auf die Herausforderungen<br />

des Jugendalters und hinsichtlich der Lebenslage Jugendlicher haben sollte, um im Sinne einer jugendorientierten<br />

Ausrichtung ganztägiger Schulen angemessene Organisationsformen bzw. pädagogische Konzepte zu<br />

realisieren.<br />

Die Klärung dieser Frage ist zugleich entscheidend für die Einbindung der Kooperationspartner wie der <strong>Kinderund</strong><br />

Jugendhilfe. Nur eine klar erkennbare Vorstellung einer interprofessionell gestalteten Ganztagsbildung, die<br />

das Zusammenwirken der Akteure leitet, hilft, die gegenwärtigen Probleme der schulbezogenen Kooperation<br />

und des Aufbaus kommunaler Bildungsnetzwerke zu mindern. Ferner kann man gar nicht von einer einheitlichen<br />

Entwicklung, geschweige denn von verallgemeinerbaren Erscheinungsformen ausgehen, die erst eine ge-

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