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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 76 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

1.1.1 Die Jugend der Politik<br />

Gegenwärtig wird Jugend in politischen Initiativen und Kontexten wieder stärker thematisiert: Von der europäischen<br />

Gemeinschaft über die Bundesregierung und Landesebenen bis hin zu den Kommunen können jugendpolitische<br />

Maßnahmen beobachtet werden. Beispielhaft seien die Bundesinitiativen „eigenständige Jugendpolitik“<br />

und „Handeln für eine jugendgerechte Gesellschaft“ mit ihren verschiedenen Modulen genannt. Diese neuen<br />

Positionierungen, Vorhaben und Projekte sind als Reaktion darauf zu verstehen, dass ein vielschichtiges und<br />

kaum mehr beschreibbares Bild von der Jugend in der Politik entstanden ist. Dies mag vor allem auch daran<br />

liegen, dass Jugend „verstreut“ in unterschiedlichen politischen Arenen und Feldern ausgehandelt wurde und<br />

kein gemeinsamer Diskurszusammenhang erkennbar war.<br />

Zudem fällt auf, dass sich in den vergangenen Jahren die politischen Diskussionen zur jüngeren Generation in<br />

erster Linie auf die Kindheit bezogen haben und Jugend häufig nur implizit mitgedacht wurde. Nur selten wurde<br />

Jugend als eigenständige Lebensphase betrachtet. So entsteht der Eindruck, dass die Lebenslage Jugend in den<br />

politischen Auseinandersetzungen verdeckt ist und vor allem in der Bildungs- und Arbeitsmarktpolitik, in der<br />

Einwanderungspolitik, in der Europapolitik und in den kommunalen und sozialräumlichen Politiken etc. gestaltet<br />

wird. Freilich konnte auch vor den 2000er Jahren nicht durchgängig von einer „Jugendpolitik aus einem<br />

Guss“ (Hornstein 2004) die Rede sein. Gleichwohl wurde in einigen Zeitabschnitten des 20. Jahrhunderts mit<br />

einer anderen Selbstverständlichkeit von der „Jugend“ gesprochen (etwa in den 1970er oder in den 1990er Jahren)<br />

und es waren konturierte Vorstellungen von Jugend – mit aller politischen Ambivalenz – erkennbar.<br />

Der Begriff „Jugend“ bezeichnete dabei gleichzeitig die nachfolgende Generation in toto und „Jugendpolitik“<br />

hatte ihre politische Kraft vor allem als Generationenpolitik. Zwar herrschte immer auch ein Konzept vom „Lebensalter<br />

Jugend“ vor, das sich vor allem auf die Phase zwischen dem zwölften und 18. Lebensjahr konzentrierte<br />

(Bock 2000). Gesellschaftliche Bedeutung hatte die Rede von „der Jugend“ vor allem dadurch, dass dieses<br />

Lebensalter gleichzeitig mit Blick auf die Zukunft als Generationszusammenhang interpretiert wurde. Jugend<br />

wurde als „principium medium“ (Mannheim) gesellschaftlicher Veränderung wahrgenommen. Es ging allgemein<br />

um alle Jüngeren, die zukünftig das gesellschaftliche Leben bestimmen würden – und es ging um die konkrete<br />

Lebenssituation Jugendlicher in einer Lebensphase, in der von ihnen erwartet wurde, den Übergang in das<br />

öffentliche Leben von Bildung, Beruf und Politik zu bewältigen und ein eigenständiges Leben jenseits ihrer<br />

familialen Herkunftskontexte zu entwickeln.<br />

Ganz unterschiedliche politische Regulationen, z. B. in der Bildungs- und Arbeitsmarkt-, Familien-, Einwanderungs-,<br />

Verteidigungspolitik haben auch konkret Jugend in den vergangenen Jahren politisch mitgestaltet. Die<br />

Folgen z. B. der Risiko- und Präventionspolitiken in den 1990er Jahren, aber auch der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik<br />

um die Jahrtausendwende sowie des Aussetzens der Wehrpflicht etc. für das Lebensalter Jugend<br />

werden jedoch erst langsam reflexiv erfasst und empirisch beschrieben.<br />

Ein dezidiertes Bild von Jugend als Orientierungslinie dieser Politiken lässt sich – wie gesagt – kaum erkennen.<br />

Es dominiert allerdings implizit die Perspektive einer Befähigung von Jugendlichen zur individuellen Verantwortungsübernahme<br />

und zur Teilhabe am Bildungs- und Arbeitsmarkt. Jugendliche sollen in den ihnen eingeräumten<br />

Wahl- und Gestaltungsoptionen stärker selbst Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen<br />

und werden als selbstständige Verantwortungs- und Entscheidungsträger adressiert. Jugend soll beschleunigt<br />

werden.<br />

Politische Bemühungen um eine verlängerte Beschulung richten sich dagegen vor allem an Jugendliche mit<br />

niedrigen Qualifikationen sowie (vor dem Hintergrund migrationsbezogener Unterschichtung und fehlender<br />

Anerkennung bestehender Qualifikationen) im Besonderen an die Nachkommen von Zuwanderern sowie geflüchtete<br />

Jugendliche. Auf der Basis der Konstruktion der Schutzbedürftigkeit Jugendlicher wird damit im jugendpolitischen<br />

Engagement eine protektionistische Haltung entfaltet, die der Forderung nach gleichberechtigter<br />

sozialer Teilhabe gegenübersteht.<br />

Diese Beobachtungen rufen dazu auf, die Folgen der Politiken der vergangenen Jahre für die Jugend empirisch<br />

zu beschreiben sowie danach zu fragen, welche Sicht auf Jugend sich als Orientierungslinie von Politik durchgesetzt<br />

hat. So stehen gegenwärtig auch jugendpolitische Initiativen, wie die Strategie „Handeln für eine jugendgerechte<br />

Gesellschaft“ mit der „eigenständigen Jugendpolitik“, den „jugendgerechten Kommunen“ oder<br />

dem „Jugendcheck“ vor der Frage, welche sozialen Konturen sie dem Jugendalter geben (sollen) und welchem<br />

jugendpolitischen Leitbild sie folgen können.

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