02.02.2017 Aufrufe

Kinderund

1811050

1811050

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 109 – Drucksache 18/11050<br />

die Wahlbereitschaft – bildungs-, geschlechts- und migrationsbezogene Differenzen zugunsten einer stärkeren<br />

Beteiligung von jungen Menschen mit höheren Qualifikationen, männlichen Heranwachsenden sowie Jugendlichen<br />

aus der Mehrheitsgesellschaft beschrieben. Diese Überrepräsentationen gelten auch für die Mitwirkung in<br />

Projekten und Initiativen zur Förderung des politischen Engagements Jugendlicher und junger Erwachsener.<br />

Hingegen liegen für alternative politische Beteiligungsformen ebenso wenig entsprechende Analysen vor wie<br />

reflektiert wird, dass politische Beteiligung auf soziale Teilhabe angewiesen ist.<br />

1.3.4 Kristallisationspunkte aktueller Jugendpolitik: „Freiräume“ und „Beteiligung“<br />

Wenn man Jugendliche und junge Erwachsene als politische Akteure und als Mitgestalter ihrer Lebenslagen<br />

begreift, dann erscheint es auch notwendig, jene jugendpolitischen Kristallisationspunkte differenzierter zu<br />

betrachten, über die gerade die Selbstvertretung der Jugendlichen ermöglicht wird und in denen ihnen Handlungsspielräume<br />

als Jugendliche eröffnet werden. Dabei fällt auf, dass es gegenwärtig vor allem zwei Punkte<br />

sind, die in diesem Kontext in den unterschiedlichen jugendpolitischen Arenen thematisiert werden und um die<br />

politisch „gerungen“ wird. Einmal geht es um die Beteiligungs- und Partizipationsformen, die Jugendlichen und<br />

jungen Erwachsenen in unterschiedlichen Institutionen, aber auch in politischen Kontexten eröffnet werden<br />

sollen (vgl. Abs. 1.3.4.2). Gerade die direkte Beteiligung und Partizipation von jungen Menschen wird häufig<br />

als das jugendpolitische Medium erster Wahl (vgl. Abs. 1.3.3) gesehen, um in der Jugendpolitik neue Impulse<br />

zu setzen sowie (Jugend)Politik „jugendgerecht“ zu gestalten. Andererseits wird in der Jugendpolitik um „Freiräume“<br />

im Jugendalter gerungen (vgl. Abs. 1.3.4.1). So schwebt rund um das Jugendalter ein jugendpolitischer<br />

Diskurs, in dem die Forderung nach „Freiräumen“ – heute wie auch schon früher – quasi als Zeitdiagnose und<br />

Kritik an den z. B. verzweckten, beschleunigten oder verbauten Handlungsspielräumen in der Jugend gesetzt<br />

wird. So sollen im Folgenden „Das Ringen um Freiräume“ sowie das „Beteiligungsdilemma“ als Kristallisationspunkte<br />

der Jugendpolitik thematisiert werden, um diese in den Horizont politischer Zusammenhänge der<br />

Ermöglichung von Jugend zu stellen.<br />

1.3.4.1 Das Ringen um Freiräume<br />

Das Ringen um Freiräume hat in den letzten zwei Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Jugend wird in modernen<br />

Gesellschaften zwar schon immer mit der Vorstellung verbunden, dass es neben und in Sozialisationsorten<br />

wie Familie, Schule, Ausbildung, organisierten Freizeitangeboten und verantwortlichen Kontrollinstanzen auch<br />

stets mehr oder weniger selbst gestaltbare Spiel- und Erprobungsräume, Gegenwelten, Rückzugsorte und Auszeiten<br />

gäbe. Diese werden gefasst als Räume, die – teilweise innerinstitutionell, zu Teilen am Rand, zu Teilen<br />

aber auch außerhalb der institutionellen Strukturen – jungen Menschen eine Entfaltung ihrer Jugendlichkeit<br />

jenseits des Überlieferten ermöglichen. Seit einiger Zeit wird aber beklagt, dass diese Freiräume nicht nur nicht<br />

mehr ausreichen, sondern zunehmend im Schwinden begriffen sind – und dies nicht nur aus der Sicht junger<br />

Menschen, sondern auch vieler Erwachsener. Begriffe wie Zeitnot, Stress, Rastlosigkeit, Verdichtung und viele<br />

andere verweisen auf eine allerorts und über die Generationen hinweg anzutreffende Gegenwartserfahrung.<br />

Diese dokumentiert sich beispielsweise in expandierenden Märkten für Zeitmanagement und Achtsamkeitstraining<br />

oder der Wellnessindustrie, die auf die Bedarfe an Ausgleich und Gegengewichten antworten, aber vor<br />

allem auch Hilfestellung beim (Zurück)Gewinnen von Autonomie geben wollen. Diese Entwicklungen korrespondieren<br />

mit zeitdiagnostischen Diskursen, die u. a. mit der Rede von der Multioptionsgesellschaft (Gross<br />

1994) begonnen wurden und heute vor allem als Verdichtung und Beschleunigung (Rosa 2005) des Alltagslebens<br />

beschrieben werden. So wird ein „strukturelle[r] Beschleunigungszwang der Moderne“ (Rosa 2005,<br />

S. 219) herausgestellt, der dazu führt, dass „die quantitative Erhöhung des objektiven Lebenstempos (...) zu<br />

einer qualitativen Veränderung der subjektiven Zeiterfahrung zu führen (scheint)“ (ebd., S. 213).<br />

Im Rahmen der Selbstoptimierungszwänge gilt es demnach darauf zu achten, nicht abgehängt zu werden, sodass<br />

immer wieder neu die Frage entstehe, wieviel individuelle Auszeit man sich noch leisten könne. „Freiräume“<br />

werden hier zu individuellen Entlastungsräumen (vgl. Abs. 1.1) in einer Gesellschaft, die die Menschen immer<br />

wieder erneut unter Mithaltedruck setzt. Auf der Ebene der subjektiven Erfahrungen entsprechen diese gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen somit dem Eindruck „des Verlustes der letzten freien Augenblicke“ (Eriksen 2005,<br />

S. 13ff.) und der Wahrnehmung der „Welt als Hamsterrad“ (Bröckling 2013). In den meisten Zeitdiagnosen<br />

werden diese Phänomene als allgemeine Charakteristika spätmoderner Gesellschaften beschrieben – ggf. er-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!