02.02.2017 Aufrufe

Kinderund

1811050

1811050

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97 – Drucksache 18/11050<br />

Jugend als gesellschaftlicher Integrationsmodus<br />

Abbildung 1-1<br />

Die Kernherausforderung Qualifizierung verweist darauf, dass Jugend als Lebensalter gesehen wird, in dem die<br />

nachfolgende Generation in erster Linie die beruflichen und sozialen Handlungsfähigkeiten erwirbt, um sich<br />

selbst und die Gesellschaft reproduzieren zu können. Es geht vor allem „um die Sicherung des sozialen, ökonomischen<br />

und kulturellen Fortbestands trotz des biologisch bedingten Wechsels der Generationen“ (Zinnecker<br />

2003, S. 8). Jugendliche erlernen vor allem Wissen und übernehmen Gestaltungsformen und Techniken. Sie<br />

agieren in Bildungseinrichtungen mit der Perspektive, eine berufliche Handlungsfähigkeit zu erlangen, um den<br />

entsprechenden gesellschaftlichen Erwartungen gerecht zu werden. Dabei wurde die Kernherausforderung Qualifizierung<br />

in ihrer heutigen Gestalt insbesondere mit der industriellen Moderne und der Durchsetzung der sogenannten<br />

Wissensgesellschaft institutionell verankert. Die institutionelle Ordnung des Bildungssystems hat im<br />

20. Jahrhundert viele Erweiterungen und Ausdifferenzierungen erfahren. Sie erfuhr spätestens mit dem Übergang<br />

zur globalisierten Wissensgesellschaft einen weiteren Institutionalisierungsschub, der in seinen Folgen für<br />

das Jugendalter noch nicht absehbar ist. Insgesamt ist die Geschichte der Jugend als Qualifizierungsprozess<br />

somit eng an die gesellschaftlichen Erwartungen an das Jugendalter in der industriellen Arbeits- und globalisierten<br />

Wissensgesellschaft gekoppelt, die auch die Hervorbringung sozialstruktureller Unterschiede mit einschließt.<br />

Qualifizierung im Jugendalter wird zudem – im Gegensatz zur Kindheit – systematisch mit Prozessen sozialer,<br />

politischer und ökonomischer „Verselbstständigung“ verbunden, insbesondere im Verhältnis zu familialen Kontexten,<br />

aber auch zu pädagogischen Institutionen und sozialen Diensten. So wird das Jugendalter gesellschaftlich<br />

mit der Erwartung verknüpft, aus der Kindheit herauszutreten und Verselbstständigungsschritte im Hinblick<br />

auf die Regelung sozialer, ökonomischer und politischer Teilhabe bis zum Erwachsenenalter zu durchlaufen. Es<br />

geht nicht nur darum, eine berufliche und soziale Handlungsfähigkeit zu erlangen, sondern auch darum, letztgültige<br />

Entscheidungen – wie es im Rahmen der rechtlichen Kodifizierung heißt (vgl. Abs. 1.3.1) – zu treffen und<br />

die Konsequenzen individueller Verantwortungsübernahme alltäglich tragen zu können.<br />

Das Jugendalter wird entsprechend als ein Lebensabschnitt gesehen, in dem ein „eigener“ Lebensentwurf im<br />

Kontext privater, ökonomischer und öffentlicher Erwartungshaltungen sukzessive zu gelingen hat. Jugendliche<br />

finden sich in komplexen Prozessen des Prioritätensetzens, des Entscheidens wieder. Das Jugendalter wird damit<br />

zum Lebensalter biografischer und sozialer Entscheidungen. In diesem Kontext werden auch die sozialstrukturell<br />

sehr unterschiedlich gelagerten Bindungs-, Abhängigkeits- und Ablösungsbeziehungen von jungen<br />

Menschen zu ihren familialen Herkunftskonstellationen in der Jugendforschung immer wieder betrachtet. Somit<br />

wurde in den vergangenen Jahren z. B. ein Trend zum partnerschaftlichen Verhältnis Jugendlicher zu den Eltern<br />

für einige Milieus herausgestellt; auch verfestigte sich das Bild, dass viele Jugendliche ihre Familie als sicheren<br />

sozialen Ort erleben, von dem aus sie die anderen Lebensbereiche für sich erschließen. So findet im Jugendalter<br />

eine umfassende Transformation persönlicher Beziehungen statt. Es werden soziale Abhängigkeiten und Unabhängigkeiten<br />

neu ausbalanciert. Eine besondere Bedeutung in dieser Transformation wird zudem der Orientierung<br />

an Gleichaltrigen beigemessen.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!