02.02.2017 Aufrufe

Kinderund

1811050

1811050

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Drucksache 18/11050 – 262 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

chen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen Widersprüche und Abweichungen von den medial vermittelten<br />

Bildern über Jugendliche in benachteiligten Stadtteilen oder über Hauptschülerinnen und Hauptschüler im<br />

Allgemeinen wahrnehmen, übernehmen sie doch häufig Elemente des dominanten Diskurses in ihre eigenen<br />

Deutungen (Wellgraf 2012, S. 208). Gleichzeitig finden sich deutlich auch widerständige und kritische Positionierungen,<br />

die sich gegen pauschalisierende und abwertende Medienbilder zur Wehr setzen. Ein positives<br />

Selbstbild zu entwickeln wird vor dem Hintergrund einer massiven Konfrontation der Jugendlichen mit pauschalisierenden<br />

Negativzuschreibungen, die nicht nur über Medien, sondern etwa auch über schulische Praktiken<br />

transportiert werden (vgl. Fölker u. a. 2015), deutlich erschwert.<br />

So werden Schulen in segregierten Räumen häufig auch selbst mit quartiersbezogenen Defizitsemantiken in<br />

Verbindung gebracht, was etwa im Begriff der Brennpunktschule deutlich wird. Für Jugendliche ergeben sich<br />

dann – vor allem auch über die Frage, wie Schule im Stadtteil sich auf den Stadtteil selbst bezieht –, unterschiedliche<br />

Möglichkeitsräume der Auseinandersetzung mit stigmatisierenden Zuschreibungen ihres Wohnumfeldes<br />

als Brennpunktquartier. In der Studie von Fölker, Hertel und Pfaff (2015) zeigt sich, dass Schulen, die<br />

sich „distinktiv“ auf den Sozialraum beziehen und Schülerinnen und Schüler stärker auf ein Leben außerhalb<br />

des benachteiligten Quartiers vorbereiten wollen, damit implizit zu Stigmatisierungsprozessen beitragen. Zum<br />

anderen sind Schulen, die sich „identifikativ-reaktiv“ auf das Quartier beziehen und mit anderen Institutionen<br />

des Quartiers eine auf die Jugendlichen gerichtete pädagogische Allianz eingehen, stärker an der Entwicklung<br />

des Quartiers beteiligt. Wenngleich hier die Perspektive der Jugendlichen nicht erhoben wurde, ergeben sich in<br />

beiden Fällen für die Jugendlichen unterschiedliche Muster der stigmatisierenden Adressierung durch Schule,<br />

etwa als „bildungsferne Migranten“ oder als „schwierige und verhaltensauffällige Kinder“, mit denen sie konfrontiert<br />

werden und sich auseinandersetzen müssen.<br />

Probleme des Quartiers aus der Sicht von Jugendlichen<br />

Die meisten qualitativen Untersuchungen, die es zu dem Themenbereich „Leben im Quartier“ bislang gibt, betonen<br />

vor allem die multiplen Problematiken, denen Jugendliche in benachteiligten Wohnquartieren ausgesetzt<br />

sind und die sie selbst häufig auch als Quartierseffekte wahrnehmen. Deutlich wird in der Studie von Baur<br />

(2012), dass die von ihr untersuchten Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die in einem Berliner Stadtteil<br />

mit hoher sozialer und ethnischer Segregation leben, eine hohe lokale Orientierung aufweisen, sodass sich ihre<br />

Aktionsradien sehr stark auf das nahe Wohnumfeld beschränken. Die Jugendlichen betonen dabei ihre hohe<br />

Peereinbindung vor Ort, ein stärkeres Gefühl der physischen Sicherheit und auch Verhaltenssicherheit im Quartier<br />

sowie die Furcht vor rechter Gewalt außerhalb des Stadtviertels (ebd., S. 154). Raumaneignungsprozesse<br />

finden damit vor allem innerhalb des Quartiers statt und sind eher statisch an Hangout-Zonen orientiert. Deutlich<br />

verweist Baur (2012) jedoch auf die geschlechtsspezifisch unterschiedliche Wahrnehmung der Quartiersbezogenheit.<br />

Mädchen betonen dabei eher die Gefahren des Wohnumfeldes, im Sinne von Kriminalität, Gewalt<br />

oder auch Belästigung, die zum Teil einen Rückzug ins Private bedingen. In den Interviews wird damit auf Seiten<br />

der Jugendlichen ein „diffuses Gefühl allgemeiner Unsicherheit im öffentlichen Raum“ (ebd, S. 146) geäußert,<br />

das auch durch mediale Inszenierungen mit transportiert wird, die in das Bild der Jugendlichen von ihrem<br />

Stadtteil einfließen. Die interviewten Jungen sind dabei stärker im öffentlichen Raum präsent und weisen eine<br />

höhere Mobilität auf als die befragten Mädchen auf. Diese geht zwar über den eigenen Stadtteil hinaus, besteht<br />

aber in erster Linie in einem Aufsuchen sozialstrukturell ähnlich gelagerter Stadtteile, sodass Milieugrenzen<br />

dadurch kaum durchbrochen werden. Alle untersuchten Jugendlichen verweisen zudem auf das hohe Maß an<br />

sozialer Kontrolle durch Nachbarschaft und Verwandtschaftsnetzwerke, die für die Mädchen vor allem ein<br />

Problem bei unerwünschten partnerschaftlichen Beziehungen und für Jungen bei der Verheimlichung delinquenten<br />

Fehlverhaltens zum Alltagsproblem werden können (vgl. Toprak/El-Mafaalani 2011).<br />

Peers, Segregation und Delinquenz<br />

Im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen delinquentem Verhalten und Effekten des Stadtviertels scheint es<br />

von Bedeutung zu sein, ob die Peers sich vornehmlich aus dem eigenen Stadtviertel speisen oder über einen<br />

breiteren Stadtraum verteilt sind. Die Befragung von Oberwittler (2004) von 5.000 13- bis 16-jährigen Jugendlichen<br />

in Großstädten zeigt, dass die Chancen Freunde im eigenen Viertel zu haben, entscheidend von der<br />

Wohndauer sowie der Entfernung zur Schule abhängen. So verringert die Wohndauer („erst in den letzten drei<br />

Jahren in das Viertel gezogen zu sein“) die Chance, Freunde im gleichen Stadtviertel zu haben um 70 Prozent<br />

und je weiter die Schule entfernt liegt, sinkt diese Chance ebenfalls um 20 Prozent (vgl. Oberwittler 2004,

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!