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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 472 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

politische Haltung zu entwickeln und sich eine Rolle als aktive Bürgerinnen und Bürger einer demokratischen<br />

Gesellschaft anzueignen.<br />

Demokratiebildung entsteht nicht von selbst. Von ganz wesentlicher Bedeutung ist eine „politische Kultur“, die<br />

für die Demokratie wirbt und sie nachhaltig sichern hilft. So vieldeutig der Begriff „Politische Kultur“ auch sein<br />

mag, er dokumentiert jedoch Haltungen und Erwartungen an die politischen Systeme, politische Entscheidungen<br />

so zu treffen, dass sie für die Gesellschaft nachvollziehbar werden. Jugend ist als Teil dieser Gesellschaft in die<br />

Artikulation und die Atmosphäre einer politischen Kultur eingebunden, sie ist Adressat und Gestalter zugleich.<br />

Angesichts der Informationsvielfalt, der beschleunigten politischen Entscheidungsprozesse und ihrer Komplexität<br />

sowie der wachsenden internationalen und globalen Verflechtungen ist es – nicht nur für Jugendliche, aber<br />

für diese besonders – immer schwieriger, diese Prozesse zu durchschauen und sich zu positionieren. Zudem ist<br />

ihre Stellung im politischen System bis heute nicht eindeutig und widersprüchlich. So werden Jugendliche nur<br />

begrenzt als Personen wahrgenommen, die sich verantwortlich an Wahlen – Kommunal- und Landtagswahlen<br />

(in wenigen Bundesländern) einmal ausgenommen – beteiligen können. Erst mit der Volljährigkeit erhalten sie<br />

das passive und aktive Wahlrecht. Sie gelten bis dahin eher als Lernende, die eine politische Haltung und Meinung<br />

erst nach und nach entwickeln müssen und werden auch oftmals als nicht „reif genug“ angesehen. Dies<br />

jedoch ist ein Blickwinkel, der merkwürdigerweise nicht danach fragt, ob es nicht auch an der mangelnden konkreten<br />

Einbeziehung Jugendlicher in politische Entscheidungsprozesse fehlt und warum es kaum ernsthafte<br />

Angebote gibt, sich diese „Politikfähigkeit“ anzueignen.<br />

Es ist nicht zu bestreiten, dass es – neben der Schule – zahlreiche Institutionen in außerschulischen Kontexten<br />

gibt, denen politische Bildung wichtig ist. Es fällt aber auf, dass die politische Bildung insgesamt kaum noch<br />

Gegenstand allgemeiner gesellschaftspolitischer oder fachpolitischer Debatten mit und zwischen Jugendlichen<br />

ist (z. B. auch in den Parteien und ihren Nachwuchsorganisationen). Nach und nach ist in der Gesellschaft und<br />

Politik das Bild einer „zukunftsgestaltenden Jugend“ verloren gegangen. Dieses Bild gibt es zumeist nur noch<br />

auf wenigen institutionellen „Inseln“ vor allem für jene Jugendlichen, die bereits ein Interesse an derartigen<br />

Fragen mitbringen.<br />

Allerdings darf sich der Bezugsrahmen politischer Bildung nicht allein auf diese darauf spezialisierten politischen<br />

Institutionen konzentrieren. Demokratiebildung hat vielmehr auch solche gesellschaftlichen Bereiche in<br />

den Blick zu nehmen, in denen Jugendliche heute eher unbeteiligt bleiben und kaum als Gestalter auftreten<br />

(können). Hierzu gehören z. B. die betriebliche Arbeitswelt, das schulische und berufliche Übergangssystem,<br />

die Hochschulen ebenso wie auch die Bereiche des Wohnens, der Stadtentwicklung und nicht zuletzt der Schule.<br />

Auch die Medienpolitik und -anbieter haben Jugendliche nur als Adressaten und Adressatinnen im Blick.<br />

Dies sind essenzielle Felder des Aufwachsens, die auch die politische Sozialisation Jugendlicher beeinflussen,<br />

wenn sie als Orte der Teilhabe und Beteiligung verstanden und genutzt werden können.<br />

Vor allem im Jugendalter treten lebensweltbezogene Aktions- und Ausdrucksformen stärker als politische Positionierungen<br />

hervor (vgl. Kap. 3 und 4). „Jugend ermöglichen“ bedeutet hier, jungen Menschen Möglichkeitsräume<br />

und politische Handlungsoptionen zu eröffnen, in denen sie sich erproben, positionieren, entscheiden und<br />

in denen sie so etwas wie eine demokratische Haltung und Handlungsfähigkeit erlangen können. Mit anderen<br />

Worten: Jugendliche müssen befähigt und in die Lage versetzt werden, sich in politische Entscheidungsprozesse<br />

einzufinden und einzumischen sowie an Zielvorstellungen und Umsetzungsprozessen mitzuwirken. Der Prozess<br />

der Selbstpositionierung verlangt geradezu nach einer Fähigkeit, Positionen auch öffentlich zu machen und zu<br />

vertreten. Es bedarf aber auch der Notwendigkeit, dass solche Möglichkeiten und Gelegenheiten tatsächlich<br />

bestehen.<br />

Die Institutionen des Aufwachsens sind gefordert, mehr Zeit und Engagement in eine neue Kultur der politischen<br />

Bildung zu investieren und so eine demokratisch-offene Selbstfindung und Selbstpositionierung der Jugendlichen<br />

zu unterstützen. Dies gelingt nicht allein durch einige wenige, kurzfristig geförderte Projekte, sondern<br />

es bedeutet auch, anzuerkennen, dass politische Bildung neben der Aneignung von politisch relevantem<br />

Wissen und den damit verbundenen Wirkungen in der politischen Praxis immer auch Selbstpositionierungen<br />

eröffnen muss.<br />

Grundprinzipien, auf die sich die politische Bildung bzw. die Politikdidaktik seit Mitte der 1970er Jahre im<br />

sogenannten „Beutelsbacher Konsens“ mit Blick auf den schulischen Unterricht verständigten, bedürfen daher<br />

des neuen Nachdenkens und der Erweiterung. Damals einigte man sich auf das „Überwältigungsverbot“, also<br />

das Verbot der Indoktrination, auf die Beachtung kontroverser Positionen im Unterricht sowie auf die Befähigung<br />

der Jugendlichen, ihre eigenen Interessen zu erkennen. Politik ist und kann kein neutrales Feld sein, viel-

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