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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 324 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

Notwendigkeit einer Registrierung und die Erfordernisse spezifischer Medienkompetenzen im Umgang mit dem<br />

konkreten Angebot bei jugendlichen Zielgruppen als zusätzliche Barrieren fungieren können, es somit nach wie<br />

vor eher formal höher gebildete Nutzerinnen und Nutzer sind, die diese Möglichkeit in Anspruch nehmen (können)<br />

– soziale Ungleichheiten also auch virtuell fortgeschrieben werden (Klein 2008; Kutscher/Zimmermann<br />

2011). Die weitere Etablierung niedrigschwelliger Beratungsangebote stelle daher kein technisches Projekt,<br />

sondern ein professionelles Projekt dar (Klein 2015, S. 143). Handlungsbedarf wird vor allem bei der Reflexion<br />

von Datenschutzaspekten und bei der Aufklärung von Jugendlichen über die besonderen Rahmenbedingungen<br />

professioneller Beratungspraxis (Datensicherheit, Datenschutz, Transparenz) im Unterschied zu kommerziellen<br />

Sozialen Netzwerken gesehen (ebd., S. 148.). Bedenklich stimmt in diesem Kontext, dass Kids-hotline im Januar<br />

2014 aufgrund unzureichender Finanzierung schließen musste. Bereits im 14. Kinder- und Jugendbericht<br />

wurde angemahnt, dass die Projektfinanzierung vieler Onlineberatungs-Angebote hinderlich für eine langfristige<br />

Etablierung und Professionalisierung von Beratungsangeboten im Internet ist (Deutscher Bundestag 2013,<br />

S. 305; vgl. auch Gehrmann 2013, S. 112; Klein 2008, S. 172). Da die größten Anbieter überregional und<br />

intrainstitutionell organisiert sind und quer zu den herkömmlichen regionalisierten Strukturen der Finanzierung<br />

von Beratung nach dem SGB VIII liegen, ist bis heute keine Finanzierungssicherheit gegeben.<br />

Ein weiteres Arbeitsfeld der Jugendhilfe, in dem digitale Medien bislang eine untergeordnete Rolle spielen,<br />

stellen die stationären Hilfen dar. Wenngleich eigentlich davon auszugehen ist, dass die Pflicht zur Erziehung<br />

auch die Medienerziehung umfassen sollte, fällt doch auf, dass die digitalen und insbesondere die mobilen Medien<br />

von Fachkräften aktuell vorwiegend als Sanktionsmittel und nicht zur Förderung von Teilhabe- und Bildungsprozessen<br />

eingesetzt werden. Dies zeigt z. B. eine explorative Studie zur Handynutzung Jugendlicher in<br />

stationären Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe (vgl. Behnisch/Gerner 2014, S. 5). Ergänzt wird dies<br />

durch die Ergebnisse einer qualitativen Studie zu Gewalterfahrungen in stationären Hilfen, in der der Entzug<br />

von Mobiltelefonen ebenfalls häufig als Erziehungsmittel eingesetzt wird, was von den Jugendlichen als Gewalthandeln<br />

empfunden wird (vgl. Domann u. a. 2015). Die Fachkräfte befinden sich offenbar in einem Dilemma:<br />

Grundsätzlich möchten sie Jugendlichen den Zugang zu digitalen Medien ermöglichen, gleichzeitig verunsichern<br />

sie der Kontrollverlust und die Autonomiegewinne bei Jugendlichen auch (Witzel 2015). Den Jugendlichen<br />

stehen daher weiterhin nur wenige Computer zur Verfügung und ein Wlan-Zugang ist eher eine Seltenheit<br />

(ebd., Kutscher/Kreß 2015). Kosten für eine alternative Mobilfunknutzung müssen die Jugendlichen selbst tragen,<br />

wodurch bestehende soziale Ungleichheiten weiter reproduziert werden (Witzel 2015, S. 125ff.). Diese<br />

Ergebnisse lassen sich teils auch auf die Situation Jugendlicher in Einrichtungen der Eingliederungshilfe übertragen.<br />

Wenngleich auch zu diesem Bereich kaum Daten vorliegen (vgl. Abs. 4.3.1), deutet sich in den wenigen<br />

existierenden Untersuchungen bereits an, dass aktuell vor allem Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen<br />

von digitaler Exklusion betroffen sind (Aktion Mensch 2010, S. 59ff.; Mayerle 2014, S. 7ff.). Als Grund wird<br />

neben dem fehlenden ökonomischen Kapital auch ein erschwerter Zugang zu Informationen angeführt.<br />

Vernachlässigt wurde bislang in allen Arbeitsfeldern der stationären Jugendhilfe die besondere Lebenslage und<br />

bisherige Sozialisation der Adressatinnen und Adressaten. So bringen Jugendliche mit einem ressourcenärmeren<br />

Hintergrund zusätzlich zu ihrer je individuellen Mediensozialisation teils spezifische Erfahrungen von Vernachlässigung,<br />

Gewalt, Missbrauch oder Delinquenz mit, die dann auch ihren Medienumgang beeinflussen (vgl.<br />

Hajok 2015, S. 85). Zudem finden sich Hinweise dafür, dass in den elterlichen Haushalten der Jugendlichen<br />

keine förderliche Medienerziehung erfolgte und sich der Medienerziehungsstil von Eltern sozial benachteiligter<br />

Heranwachsender häufig als autoritativ bewahrend und eher einschränkend darstellt (Paus-Hasebrink/Kulterer<br />

2014), was sich ebenfalls negativ auf die Ausbildung von Medienkompetenz auswirkt (Haddon u. a. 2012).<br />

Grundsätzlich ist daher zukünftig verstärkt darüber nachzudenken, digitale Medien auch in die Jugendhilfeplanung<br />

einzubeziehen. Aktuell werden der Zugang zu digitalen Medien und die Teilhabe an Medienbildungsprozessen<br />

weder in der Bestandsaufnahme, der Bedarfsermittlung noch in der Maßnahmenplanung berücksichtigt,<br />

obwohl beide für Jugendliche positive und notwendige Lebensbedingungen darstellen. Dabei zeigt z. B. die<br />

Studie über die Nutzung digitaler Medien durch unbegleitete minderjährige Geflüchtete, dass die digitalen Medien<br />

existenziell bedeutsam sind, da Jugendliche darüber den Kontakt zu ihrer Herkunftsfamilie halten und die<br />

Medien als Informations- und Kommunikationswerkzeuge als auch insbesondere als Erinnerungs- und Koordinationswerkzeuge<br />

nutzen (Kutscher/Kreß 2015). Auch die von Bosse (2017) macht deutlich, dass die Teilhabeund<br />

Bildungspotenziale digitaler Medien von Jugendlichen mit Behinderungen bislang kaum ausgeschöpft werden<br />

(können). In Bezug auf Jugendliche mit geistiger oder körperlicher Behinderung wären hier neben der Kinder-<br />

und Jugendhilfe auch die Träger der Eingliederungshilfe gefordert.

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