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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 212 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

die zunehmend auch von den Gestaltungsmöglichkeiten digitaler Medien beeinflusst sind (vgl. Kap 4). Stilelemente<br />

sind dabei Ironisierung, Humor, Übertreibungen, aber auch spezifische Begrüßungsrituale, Spitznamen<br />

oder Anglizismen (vgl. Chun 2008) sowie Adaptionen aus medialen Zusammenhängen, die innerhalb von<br />

Peergroups graduell unterschiedlich ausgeprägt sind und die sich, je nach gruppenspezifischem Selbstverständnis<br />

und jugendkultureller Orientierung, unterscheiden können (vgl. Abs. 4.2).<br />

Jugendkulturelle Sprache und Stilbildung dienen vor allem der Abgrenzung gegenüber Erwachsenen und anderen<br />

jugendlichen Gruppen und spielen damit eine zentrale Rolle für Identitätsbildung und Selbstpositionierung<br />

im Jugendalter. Jugendliche grenzen sich über verschiedene soziale Dimensionen und Verhaltensweisen von<br />

anderen Gruppen ab und stärken darüber das Wir-Gefühl in der eigenen Gruppe. Neben explizit jugendkulturellen<br />

Zugehörigkeitsbekundungen über szenespezifische Stilbildungen und Praktiken (vgl. Abs. 3.3) spielen auch<br />

sozialstrukturelle Dimensionen wie soziale Herkunft, Geschlecht, Ethnizität, aber auch Schulleistungen, Geschmacksfragen<br />

(z. B. Mode, Musik) oder bestimmte Verhaltensweisen, wie Alkohol-, Drogen-, Medienkonsum<br />

oder auch aggressives und gewaltförmiges Handeln eine Rolle in den Abgrenzungspraktiken gegenüber anderen<br />

Gleichaltrigen (vgl. Pfaff 2010; Amling 2015) und dienen der eigenen Standortbestimmung. Verbale und nonverbale<br />

Distinktionspraktiken gründen dabei im gemeinsamen Erfahrungsraum der Jugendlichen und erlangen<br />

in ihrer peerkulturellen Ausgestaltung unterschiedliches Gewicht.<br />

Ebenso können aber auch Prozesse des Positioniert- und gleichzeitig Stigmatisiertwerdens über Lebenslagen zu<br />

einem Teil peerkultureller Selbstverortungen werden. Fremdzuschreibungen werden dann peerkulturell bearbeitet<br />

und umgedeutet und in die eigenen Stilisierungen integriert (Groß 2010). Praktiken, in denen sich etwa jugendliche<br />

Gruppen selbst als „Unterschicht“ etikettieren, können dann immer auch als „identitäre Prozesse der<br />

Bewältigung drohender oder bereits bestehender Ungleichheit sowie von Differenzkonstruktionen aus der Erwachsenengesellschaft<br />

verstanden werden“ (Groß 2010, S. 45). Milieu-, bildungs-, geschlechts- und herkunftsbezogene<br />

Zugehörigkeiten bieten dabei Distinktionspotenziale und Bezugshorizonte, die jedoch gruppenspezifisch<br />

verhandelt werden. Gleichwohl scheinen gerade die Dimensionen Bildungsniveau und soziale Herkunft<br />

eine zentrale Rolle zu spielen, indem sie relevante Erfahrungsräume für die Herausbildung von Stil-, Geschmacks-<br />

und Verhaltensfragen darstellen und hierüber mögliche Selbstpositionierungen beeinflussen sowie<br />

Inklusions- bzw. Exklusionsmechanismen in informelle Gruppen erzeugen (vgl. Hoffmann 2016; Wellgraf<br />

2012).<br />

Jugendliche gehen auch in informellen Cliquen sehr vielfältigen thematischen Interessen nach, die sich an ihren<br />

eigenen bzw. den gruppenbezogenen Vorlieben und Neigungen orientieren. In der MediKuS-Studie (Grgic/<br />

Züchner 2013) wird deutlich, dass gerade im Bereich von Kunst und Musik sowie auf sportlichem Gebiet eine<br />

ganze Reihe von Jugendlichen gemeinsam mit Freunden auch außerhalb organisierter Zusammenhänge aktiv ist.<br />

Dabei zeigt sich eine höhere Bedeutung informeller sportlicher oder künstlerisch-ästhetischer Aktivitäten mit<br />

zunehmendem Alter.<br />

Vor diesem Hintergrund erweisen sich Peergroups nicht nur über die Erfordernisse gruppenbezogener Kommunikation,<br />

des gemeinsamen Aushandelns von Normen, Werten und Deutungen sowie der Bewältigung von Konflikten<br />

als zentrale Lernkontexte sozialer und personaler Kompetenzen. Ebenso finden hier bewusste und selbst<br />

organisierte Lernprozesse im Hinblick auf gruppenbezogene Interessen, etwa im Umgang mit Medien, im Erlernen<br />

einer Sportart, eines Tanzes, eines Instrumentes oder in der interessebezogenen Auseinandersetzung mit<br />

anderen Fach- und Sachgebieten statt, die die kognitiven oder auch physischen Kompetenzen Jugendlicher gerade<br />

aufgrund der Symmetrie in den Beziehungen und der Notwendigkeit des gemeinsamen Aushandelns von<br />

Lösungen immens fördern können.<br />

3.3.2.3 Peergroups und Schule<br />

Für die Gestaltung von Peerbeziehungen stellt die Schule einen ambivalenten Erfahrungsraum dar, da hier sowohl<br />

„erzwungene“ Vergemeinschaftungen Gleichaltriger als auch freiwillig gewählte Beziehungskonstellationen<br />

von Bedeutung sind und das schulische Erleben entscheidend beeinflussen. Die Jugendlichen sind im Raum<br />

Schule dann vor allem dazu aufgefordert, eine Balance zwischen ihrer Rolle als Schüler oder Schülerin und<br />

ihrem Peerdasein zu finden (vgl. ausführlich Kap. 5).<br />

Anforderungen der Schule und schulische Leistungserbringung sind in Peergroups Themen, die mit zunehmendem<br />

Alter auch häufig aus der Peerkommunikation ausgeblendet werden. Informelle Gruppen sind dann oft ein<br />

Kompensationsraum für schulische Belastungen und bilden hierzu stärker eine Parallelwelt, in der geselligkeits-

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