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Drucksache 18/11050 – 438 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

Zudem: Wenn in der Kinder- und Jugendhilfe gegenwärtig über Verselbstständigung von jungen Menschen in<br />

den Hilfen zur Erziehung gesprochen wird, dann wird dies häufig ohne systematischen Bezug zu den realen<br />

Qualifizierungsprozessen der Jugendlichen getan. Im internationalen Kontext wird schon länger diskutiert, wie<br />

die sozialen Chancen, u. a. auch durch die intensive Förderung der Schulkarrieren und beruflichen Ausbildung<br />

der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die durch die Hilfen zur Erziehung betreut werden, nachhaltig verbessert<br />

werden können (vgl. z. B. Stein/Munro 2008). Biografisch-rekonstruktiv orientierte Jugendstudien weisen<br />

in diesem Zusammenhang darauf hin, dass „soziale Resonanzen“ z. B. in der Schule, ebenfalls einen entscheidenden<br />

Einfluss auf die Bildungsprozesse der Jugendlichen haben (Zeller 2012).<br />

Für Deutschland ist festzuhalten, dass zwar erste Studien den Zusammenhang von Schulbildung und Hilfen zur<br />

Erziehung zu erschließen versuchen (vgl. Köngeter u. a. 2016), aber insgesamt keine belastbaren Daten vorliegen,<br />

wie die Schul- und Ausbildungskarrieren von Jugendlichen und jungen Erwachsenen verlaufen, die in den<br />

stationären Hilfen betreut wurden. Zum letzten Mal wurde 2005 erhoben, welchen Schul- und Ausbildungsstatus<br />

die Jugendlichen und jungen Volljährigen bei der Beendigung der Hilfe haben (vgl. Tab. 7‒3). Mit der Umstellung<br />

des Erhebungsverfahrens der Kinder- und Jugendhilfestatistik werden seither keine Daten zum Schulbesuch<br />

bzw. zur Ausbildung bei Hilfeende mehr erhoben (vgl. Köngeter u. a. 2008).<br />

Tabelle 7-3<br />

Qualifikationsstatus bei Beendigung einer Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII<br />

2005; Angaben in %<br />

Altersgruppe Schule Berufliche Ausbildung weder noch<br />

15- bis unter 18-Jährige 61 19 20<br />

18- bis unter 21-Jährige 25 43 32<br />

21- bis unter 27-Jährige 10 46 44<br />

Quelle: Statistisches Bundesamt: Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe – Erzieherische Hilfen außerhalb des Elternhauses; Zusammenstellung<br />

und Berechnung Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik<br />

Viele Care Leaver sind somit nach der Hilfebeendigung in der Verwirklichung ihrer Bildungsaspirationen und<br />

in ihren Qualifizierungswegen auf sich allein gestellt, obwohl gerade im jungen Erwachsenenalter Benachteiligungen,<br />

die u. a. durch nicht erfolgreiche Schulkarrieren hervorgerufen werden, noch einmal –zumindest in<br />

Teilen – ausgeglichen werden könnten. Zudem sind die Beratungsstellen der Ausbildungsförderung oder die<br />

Job-Center häufig nicht auf die besondere Lebenslage von Care Leavern vorbereitet, sodass immer wieder existenzbedrohende<br />

Finanzierungs- und Sicherungslücken im jungen Erwachsenenalter entstehen. Weiterhin müssen<br />

z. B. die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, wenn sie eine Ausbildung antreten können, 75 Prozent<br />

ihres beruflichen Ausbildungsgehalts, soweit sie noch Hilfen bekommen, an den Kostenträger der Hilfen abführen.<br />

Der Selbstbehalt verringert sich dadurch derart, dass dies nicht ohne Folgen bleibt. Denn dadurch wird die<br />

Motivation, eine berufliche Ausbildung zu beginnen oder in kritischen Situationen durchzuhalten, nicht gerade<br />

gefördert. Auch wird den jungen Menschen kaum die Möglichkeit eröffnet, Geld für ihre weitere Verselbstständigung<br />

zu sparen 117 (vgl. www.careleaver.de).<br />

Letztlich stellt die „Verselbstständigung“ von jungen Menschen nach einer stationären Hilfe ein Strukturdilemma<br />

organisierter Hilfe dar. Junge Menschen, die durch die stationären Hilfen betreut werden und sich damit in<br />

einem institutionellen Hilfesystem bewegen, stehen plötzlich vor der Herausforderung, dass sie neben den allgemeinen<br />

Erwartungen an Jugendliche und junge Erwachsene zusätzlich einen Übergang bewältigen müssen,<br />

der in der sogenannten Normalbiografie strukturell so nicht vorgesehen ist. Sie werden häufig ohne jede „Nachsorge“<br />

aus einer Hilfeform „freigesetzt“. Es wird auf diese Weise eine eigene Statuspassage des „Leaving Care“<br />

für diese Jugendlichen erzeugt (Köngeter u. a. 2012), die wiederum selbst zu einer prekären Lebenskonstellation<br />

führen kann.<br />

Auch die gesundheitsbezogenen Dienste – wie z. B. die Kinder- und Jugendpsychiatrie – sind bisher kaum darauf<br />

vorbereitet, den Bedarfen dieser Gruppe an der Grenze zum jungen Erwachsenenalter adäquat zu begegnen,<br />

117<br />

Vgl. www.careleaver.de [18.07.2016].

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