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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 247 – Drucksache 18/11050<br />

(Streib 2017, S. 10). Auch die Daten des Religionsmonitors zeigen, dass hochreligiöse Orientierungen vor allem<br />

unter den islamischen Jugendlichen zu finden sind, während sie bei Jugendlichen christlicher Religionsgemeinschaften<br />

nur 16 Prozent ausmachen (vgl. Religionsmonitor: Huber/Huber 2012).<br />

Für die Gruppe der institutionell religiös gebundenen Jugendlichen lässt sich damit nicht einheitlich von einem<br />

Bedeutungsverlust dieser Einbindung sprechen. Individuelle Religiosität und religiöse Praxis sind durchaus<br />

verbunden mit institutioneller und lebenspraktischer Einbindung in die jeweilige Religionsgemeinschaft (vgl.<br />

EKD 2014, S. 43ff.). Jugendliche weisen allerdings ein sehr differenziertes Verhältnis zu den institutionalisierten<br />

Formen von Religion auf. Einerseits genießen Kirchen bzw. die entsprechenden Organisationsformen muslimischer<br />

Religionsgemeinschaften eine konstant hohe Wertschätzung: 67 Prozent aller Jugendlichen „finden es<br />

gut, dass es die Kirche gibt“ (Gensicke 2015, S. 259), nur 20 Prozent lehnen die Kirche ab. Gedeutet wird diese<br />

hohe Zahl mit dem positiven Image der Kirchen als sozialer und moralischer Institution, die sich für benachteiligte<br />

Menschen einsetzt und mit der bleibenden Rolle der Kirchen als Ressourcenraum für Sinn- und Existenzfragen.<br />

Andererseits ist eine große Zahl von Jugendlichen (ebd.) überzeugt, dass „die Kirche sich ändern muss,<br />

wenn sie eine Zukunft haben will“ (64 %) und dass die Kirche „auf die Fragen, die mich wirklich bewegen,<br />

keine Antwort hat“ (57 %). Muslimische Jugendliche stimmen ihren organisierten Religionsgemeinschaften<br />

nach dieser Befragung allerdings in erheblich höherem Maße zu und sind weniger kritisch eingestellt. Differenzen<br />

in der Bedeutung von speziellen Religionsgemeinschaften und der Religionseinbindung innerhalb der unterschiedlichen<br />

Religionen kommen jedoch bei den vorliegenden Studien durchweg kaum in den Blick. So werden<br />

keine Glaubensgemeinschaften differenziert – und dies sowohl im Hinblick auf den Islam (hier wird nicht systematisch<br />

unterschieden zwischen Sunniten, Schiiten oder Aleviten, vgl. etwa Halm/Sauer 2015a, S. 13f.) als<br />

auch im Kontext anderer Religionsgemeinschaften.<br />

Ein Gegensatz deutet sich auch an einer anderen Stelle an. Auf der einen Seite zeigen aktuelle Studien, dass die<br />

Teilnahme an den klassischen Praxisformen und Angeboten der religiösen Institutionen (z. B. Kirchgang) sowie<br />

traditionelle religiöse Praktiken (Gebet) zurückgehen (Shell Deutschland Holding 2015; Bedford-Strom/Jung<br />

2015). Andererseits erfreuen sich auf Jugendliche zugeschnittene und jugendkulturell adaptierte und auf Lebensfragen<br />

Jugendlicher ausgerichtete Angebote der kirchlichen Jugendarbeit, wie Jugendgottesdienste und<br />

religiöse Events (z. B. das Christival, der Kirchentag, der Katholikentag), eines hohen Interesses Jugendlicher<br />

(vgl. exemplarisch Ilg u. a. 2014, S. 147). Auch die Angebote und der gebotene Raum zur Selbstorganisationen<br />

in katholischen wie evangelischen Jugendverbänden werden gleichbleibend stabil genutzt. Im islamischen Kontext<br />

sind in den letzten Jahren einige neue Jugendorganisationen entstanden und befinden sich in der Phase der<br />

strukturellen Etablierung (vgl. z. B. Seckinger u. a. 2009; Fauser u. a. 2006; Jagusch 2011; Antes/Schiffers<br />

2015; Oechler/Schmidt 2014; auch Kap. 6).<br />

Bei Jugendlichen wie Erwachsenen sind individuell empfundene Religiosität und institutionelle Einbindung<br />

nicht zwangsläufig miteinander verbunden. Vielmehr wird aktuell in der Unterscheidung zwischen „Religiosität“<br />

und „Spiritualität“ auf eine weitere Dimension von Religion verwiesen, die auf die Differenziertheit des<br />

Konstruktes „Religion“ abstellt. „Spirituell sein“ wird insbesondere für Jugendliche als relevante Selbstbezeichnung<br />

hervorgehoben (Streib 2017) und in der Differenz zur Selbsteinschätzung „religiös sein“ auch in unterschiedlichen<br />

Studien aufgenommen. „Spiritualität“ wird dabei als erfahrungsorientierte und eher mystische<br />

Variante von Religion verstanden und als Anzeichen der De-Institutionalisierung von Religion interpretiert<br />

(Streib 2017, S. 2). So schätzen sich in der ALLBUS-Umfrage (2012) 17 Prozent der konfessionslosen 18- bis<br />

25-Jährigen als „mehr spirituell als religiös“ ein, und auch unter den konfessionell gebundenen tun dies immerhin<br />

zwölf Prozent. Gleichzeitig betrachten sich 37 Prozent der konfessionell Gebundenen als „weder religiös<br />

noch spirituell“, während konfessionslose junge Menschen dies zu 70 Prozent angeben. Hier finden sich aber<br />

auch ca. 13 Prozent die sich als „gleichermaßen religiös und spirituell“ bzw. als „mehr religiös als spirituell“<br />

verstehen und damit ebenso auf de-institutionalisierte Bezüge zu religiösen bzw. spirituellen Themen verweisen.<br />

Studien zu Religion und Glauben betonen vor diesem Hintergrund, dass Religion nicht nur für Jugendliche immer<br />

stärker zur Privatsache wird und sich von eindeutigen Zuschreibungen und kirchlichen Dogmen löst. Während<br />

klassische Religionseinbindung und entsprechende Praktiken nicht nur bei Jugendlichen einen Bedeutungsverlust<br />

erfahren, gilt dies nicht gleichermaßen für religiöse oder transzendente Orientierungen. So glauben<br />

immerhin 28 Prozent der konfessionslosen zehn- bis 18-jährigen Jugendlichen, welche in der Studie von<br />

Maschke u. a. (2013) befragt wurden, dass es einen Gott bzw. ein göttliches Wesen gibt, 16 Prozent sehen sich<br />

selbst als gläubigen Menschen und 44 Prozent glauben an ein Leben nach dem Tod (Maschke u. a. 2013,<br />

S. 194ff.). Die Subjektivierung des Religiösen äußert sich bei Jugendlichen in einer Hinwendung zu eigenen<br />

Glaubensvorstellungen als einer „Religionsbricolage“ oder „Bastelreligion“, die unterschiedliche Sinnangebote

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