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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 226 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

jugendkulturellen Zugehörigkeiten können sich Jugendliche individuell, gleich gesinnt und vergemeinschaftend<br />

ausprobieren, über Musik, Kleidungsstil, Symbole und Sprache eigene, kreative Formen ihres Lebensgefühls<br />

erfinden und sich (sichtbar für den Rest der Gesellschaft) abgrenzend inszenieren. Dabei ist nicht zu unterschätzen,<br />

dass auch und gerade die Zugehörigkeit zu Jugendkulturen eben nicht von Dauer ist, sie wird dem Lebensalter<br />

Jugend zugerechnet und wird mit seinem Ende fragil. Und auch selbst wenn (ältere) Erwachsene jugendkulturelle<br />

Symboliken verwenden, Musikkonzerte besuchen und/oder Szenezugehörigkeiten leben – die intergenerationale<br />

Differenz bleibt bestehen.<br />

Jugendkulturelle Szenen stellen trotz der Aufweichung ihrer Altersgrenzen bis heute einen gesellschaftlichen,<br />

auf ästhetischen Praktiken beruhenden „Kampf um Exklusivität und Distinktion“ dar (Lorig/Vogelgesang 2011,<br />

S. 372), d. h. sie sind grundsätzlich eine „Formation auf Zeit“, denn sie werden von ihrer Stilexklusivität belebt<br />

– und gehen mit ihrem Verlust unter. Sobald die exklusiven Symboliken und Inhalte von Jugendszenen vermarktet<br />

sind (dies gilt insb. für Modestile, aber auch für die Kommerzialisierung von musikalischen Elementen<br />

oder die allgemein-gesellschaftliche Übernahme ganz spezifischer Sichtweisen auf die Welt), wird eine Jugendkultur<br />

sozusagen ausgehöhlt.<br />

Als eigenständige Lebenswelten und regulärer Bestandteil gesellschaftlicher Wirklichkeit in Deutschland werden<br />

Jugendkulturen seit mehr als 100 Jahren diskutiert (vgl. ebd. 2011). Allerdings haben sich die Formen der<br />

Vergemeinschaftung verändert, inzwischen ist jeweils von globalen Zugehörigkeiten auszugehen, die sich lokal<br />

kulturell spezifizieren (vgl. für den Hip Hop etwa Bock u. a. 2007). Zudem haben sich die Kulturen und Szenen,<br />

insbesondere in den letzten beiden Jahrzehnten, stark ausdifferenziert und pluralisiert. Während noch bis Anfang<br />

der 1990er-Jahre verschiedene Jugendkulturen klar voneinander differenziert werden konnten, sehen wir<br />

derzeit auf eine nahezu unüberschaubare Fülle von jugendlichen Kulturen, Szenen und Gruppen, die nicht nur<br />

schwer zu überblicken, sondern auch – von außen – nicht immer so ganz einfach voneinander zu unterscheiden<br />

sind. In einem Systematisierungsversuch von Krüger (2010) wird die Jugendkulturlandschaft in a) politische<br />

und religiöse Jugendkulturen, b) Jugendkulturen mit gemeinsamen ethnischen Merkmalen und/oder aktionsund<br />

gewaltorientierten Praktiken, c) jugendkulturelle Gruppen, die auf besondere mediale Ereignisse (z. B. Daily-Soap-Fans,<br />

LAN-Szene) oder sportive Praktiken (z. B. Fußballfans, Skater) Bezug nehmen und d) institutionell<br />

integrierte jugendkulturelle Gruppierungen (z. B. die Feuerwehr- oder DLRG-Jugend) differenziert. Hitzler<br />

und Niederbacher (2010) beschreiben innerhalb dieses weiten Spektrums 20 identifizierbare Szenen, ähnliche<br />

Darstellungen finden sich in anderen Systematisierungsversuchen (z. B. Ferchhoff 2011).<br />

Beobachtbar ist – und dies erschwert Überblicksdarstellungen –, dass sich einerseits einzelne „klassische“ Jugendkulturen<br />

(wie etwa Hip Hop, Metal, Grufties, Punks) noch einmal in sich ausdifferenzieren; andererseits<br />

entstehen unzählig viele neue kleine kulturelle Gruppierungen auch jenseits jugendkultureller Spezifität (etwa<br />

die Fanclubs von „Lindenstraße“, „Star Trek“ oder „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ sowie Szenen, die sich<br />

über das Internet formieren wie etwa die Programmierer, Hacker, Online-Rollenspieler etc., vgl. Lorig/Vogelgesang<br />

2011).<br />

Zwar kann nicht genau ausgelotet werden, wie sich die quantitative Zugehörigkeit zu Jugendkulturen aktuell<br />

genau darstellt – Lorig und Vogelgesang (2011) etwa konstatieren, dass sich ca. ein Viertel der Jugendlichen<br />

spezifischen Jugendszenen zurechnet, diese Zahl vergrößert sich um Szene-Sympathisanten, die sogenannten<br />

„Ajos“ (meint: „Allgemein jugendkulturell Orientierte“ nach Schmidt/Neumann-Braun 2003); gleichwohl ließen<br />

sich „Novizen, Touristen und Freaks“ in jeder Szene ausmachen (vgl. Lorig/Vogelgesang 2011). In den<br />

Repräsentativbefragungen, die Jugendkulturen und -szenen allerdings nur nach vorgegeben Kategorien erfassen<br />

– und, wie etwa in der AID:A-Studie, nach Sympathien und Ablehnungen fragen –, werden zumindest Trends in<br />

den Bewertungen verschiedener Szenen deutlich: So zeigt die Befragung in AID:A II (2014), dass immerhin<br />

40 Prozent der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren (vgl. Abb. 3–1) die Aussage bejahen, „Hip Hop find<br />

ich gut“, bei den 18- bis 25-Jährigen sind dies 38,3 Prozent. Hip Hop ist innerhalb des vorgegeben Rasters an<br />

Szenen die bekannteste, während Parkour derzeit scheinbar die beliebteste Jugendszene darstellt. Von allen<br />

befragten zwölf- bis 17-jährigen Jugendlichen geben 45,8 Prozent an, dass sie Parkour „gut finden“, bei den 18-<br />

bis 21-Jährigen sind dies 46,4 Prozent. Auch die ebenso bewegungsorientierte Skaterszene bzw. das Skateboarden<br />

rangiert weit oben auf der Beliebtheitsskala und erreicht bei den Zwölf- bis 17-Jährigen ähnliche Werte wie<br />

Hip Hop. Demgegenüber wird die Graffitiszene von einem Drittel abgelehnt und findet nur zu 20 Prozent Sympathisanten<br />

in dieser Altersgruppe. Noch stärker zeigt sich dies bei der Punk-, Heavy Metal- sowie der Emo-<br />

Szene, die von den meisten Jugendlichen abgelehnt oder als weder gut noch schlecht befunden werden.

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