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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 333 – Drucksache 18/11050<br />

So werden Jugendliche in der Schule zu Mitgliedern einer Organisation erklärt und organisationsbezogen relevanten,<br />

allgemein gültigen, die Individualität zunächst ausklammernden Kategorien unterworfen: Jugendliche<br />

werden zu Schülerinnen und Schülern in einer Klasse, einer Schulstufe und ggf. einem Angebotskomplex im<br />

Ganztagsbetrieb. Jede dieser schulspezifischen Kategorien transportiert Regeln und Erwartungen, um die alltägliche<br />

Schulorganisation gewährleisten zu können (vgl. Ecarius u. a. 2011, S. 81f.). Die Interaktion zwischen den<br />

Lehrkräften und Jugendlichen wird vor allem auf den Zweck der Schule bezogen: auf Unterricht, Lerninhalte<br />

und Leistungsziele. Damit fördert die Strukturlogik der Schule ein darauf abgestimmtes Verhalten, ein Handeln<br />

in der Rolle als Schülerin bzw. Schüler, das pädagogisch, organisatorisch und didaktisch strukturiert wird. Schule<br />

bedeutet demnach eine Sozialisationsinstanz, die nicht nur gesellschaftlich wirkt und beauftragt ist, sondern<br />

darin auch gesellschaftliche Kontrolle ausdrückt (vgl. ebd., S. 83) und eine Rollenorientierung ausprägt.<br />

Schulische Sozialisation ist daher grundsätzlich durch eine doppelte Perspektive gekennzeichnet, indem sie die<br />

Integration der Jugendlichen in die Gesellschaft (Sozialintegration) und gleichzeitig deren Persönlichkeitsentwicklung<br />

(Individuation) fördern soll. Hierzu üben Schulen Funktionen aus, die genau diese Ziele und Merkmale<br />

eines Ortes der gesellschaftlich beauftragten und auch kontrollierten Sozialisation unterstützen. Ganztagsschulen<br />

sind im Vergleich zu den üblichen Halbtagsschulen zwar nicht durch prinzipiell andere Funktionen<br />

gekennzeichnet, können jedoch aufgrund ihrer erweiterten Optionen andere strukturelle und pädagogische Mittel<br />

einsetzen, um diese zu erfüllen und zu ergänzen, etwa mit Blick auf eine dezidiert jugendorientierte Konzeption<br />

von Methoden, Themen und Orten der außerunterrichtlichen Bildungsangebote (vgl. Tab 5-1).<br />

Tabelle 5-1<br />

Schulische Funktionen in struktureller und individueller Perspektive und ihre Erweiterungsperspektiven<br />

durch Ganztagsangebote<br />

Schulische<br />

Funktion<br />

Gesellschaftlich-strukturelle<br />

Perspektive<br />

Personal-individuelle<br />

Perspektive<br />

Zusätzliche Modalitäten der Ganztagsschule<br />

Enkulturation<br />

Kulturelle Reproduktion (z. B. Sprache,<br />

Wertevermittlung)<br />

Persönlichkeitsentwicklung,<br />

Individuation<br />

Institutionelle Öffnung nach innen<br />

und außen<br />

Multiprofessionalität<br />

Erweiterte<br />

Bildungsmöglichkeiten<br />

Qualifikation<br />

Vermittlung von (tätigkeitsbezogenen)<br />

Fähigkeiten und Wissensbeständen,<br />

v.a. mittels Unterricht<br />

Grundlage einer selbstständigen,<br />

flexiblen Berufslaufbahn<br />

Differenzierung der Raumgestaltung<br />

Allokation<br />

Reproduktion sozialer Positionsverteilungen<br />

durch Kompetenzen und<br />

Zertifikate<br />

Leistungsstreben als mögliches Mittel<br />

der sozialen Positionierung<br />

Rhythmisierung von Zeit, Lernsequenzen<br />

und Bildungsarten<br />

Sozialer Erfahrungsraum<br />

Partizipation und Demokratiebildung<br />

Integration und<br />

Legitimation<br />

Reproduktion sozialer Normen,<br />

Werte und Regeln, gesellschaftliche<br />

Integration<br />

Soziale Bindung, Identitätsentwicklung,<br />

Gemeinwesenkultur<br />

Räume zur Selbstgestaltung<br />

Quelle: Eigene Darstellung, nach Ecarius u. a. (2011, S. 83f.), in den Grundsätzen nach Fend (2006), erweitert um Modalitäten der Ganztagsschule<br />

Diese schulischen Funktionen führen zu organisationsspezifischen Regulierungen, ihre Effekte bestehen in einem<br />

Spannungsverhältnis von expansivem und reproduzierendem, reduziertem Lernen, einer Stabilisierung von<br />

Ungleichheit der schulischen Bildungsvoraussetzungen und -prozesse sowie einer Standardisierung von Bildungszielen,<br />

die weithin dem Ideal einer mittelschichtorientierten Qualifizierung entsprechen (vgl. Ecarius u. a.<br />

2011, S. 85). Auch Ganztagsschulen unterliegen der Gefahr, die Kernherausforderungen des Jugendalters –<br />

Qualifizierung, Verselbstständigung, Selbstpositionierung (vgl. Kap. 1) – auf eine fachliche und berufsbezogene,<br />

zertifikatsorientierte Qualifizierung zu reduzieren, obwohl die Schulgesetze der Bundesländer nicht nur<br />

diese Funktion, sondern auch die der Erziehung zur gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit, des demokratischen<br />

Handelns und der gesellschaftlichen Integration betonen.

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