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Drucksache 18/11050 – 334 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

Hinzu kommen soziale, in der Schule wirksame Einflussfaktoren wie Migration, Region oder Geschlecht, die<br />

institutionell meist nicht gezielt aufgegriffen werden, sondern eher als immanenter Ordnungsprozess wirken<br />

(vgl. Hertel/Pfaff 2015), da sie quer zu den gesellschaftlichen Funktionen der Schule liegen. Aus dieser strukturellen<br />

und funktionalen Logik der Schule dürfen allerdings nicht direkt Konsequenzen für das Erleben und Verhalten<br />

der Jugendlichen abgeleitet werden. Die Auswirkungen auf die Persönlichkeitsentwicklung, das Bewältigungsverhalten<br />

und die subjektive Bewertung von Schule variieren dabei, sind Teil der jugendlichen Positionierungen<br />

im Kontext der Schule (vgl. Kap. 3). Expansionseffekt, Ungleichheitsrelation, Handlungswidersprüchlichkeit<br />

und Rollenorientierung drücken sich somit biografisch und im Erleben Jugendlicher durchaus verschieden<br />

aus, werden unterschiedlich thematisiert und individuell bearbeitet.<br />

Ganztagsschulen werden in dieser Hinsicht vor allem mit den gewandelten Sozialisationsbedingungen und Bildungsanforderungen<br />

begründet. So gehen die sozialen und gesellschaftlichen Dynamiken einerseits mit der<br />

Veränderung außerschulischer Bedingungen des Aufwachsens einher, also beispielsweise veränderte Erwerbsstrukturen<br />

oder Familienkonstellationen, psychosoziale Belastungen, Erziehungs- und Betreuungsprobleme,<br />

zunehmende Mediatisierung von Erfahrung und die Veränderung von Erfahrungsmöglichkeiten und Kontaktchancen<br />

junger Menschen. Andererseits ist der Wandel von Wissensformen und ihrer Aneignung vor allem<br />

dadurch bedingt, dass Kenntnisse und Fähigkeiten in einer modernen Gesellschaft an Komplexität gewonnen<br />

haben und daher Basis- und Schlüsselqualifikationen bedeutsamer werden, die über die übliche schulische<br />

Grundbildung hinausgehen (z. B. soziale Kompetenzen, Medienkompetenz, Fähigkeiten der Analyse, Planung,<br />

Kommunikation, Problemlösung, das Lernen lernen).<br />

Mit Ganztagsschulen sollten darauf bezogene Möglichkeitsräume geschaffen werden, die diesen vielfältigen<br />

Anforderungen besser begegnen. Sie sind im Anschluss an die ersten PISA-Befunde, die den deutschen Schulen<br />

pädagogische und strukturelle Defizite bescheinigten, bereits im 12. Kinder- und Jugendbericht ausbuchstabiert<br />

worden (vgl. Deutscher Bundestag 2005) und beziehen sich auch auf den von der Kultusministerkonferenz bereits<br />

2001 gefassten Beschluss (296. Sitzung) als Reaktion auf die PISA Studie und auf den von der Jugendministerkonferenz<br />

und der Kultusministerkonferenz gemeinsam gefassten Beschluss (JMK/KMK 2004). Wenngleich,<br />

vor allem bezogen auf die Ganztagsgrundschule, zunächst der Fokus auf das Ziel der Vereinbarkeit von<br />

Familie und Beruf gerichtet wurde, so beinhalteten beide Beschlüsse bereits deutliche Hinweise auf Schlussfolgerungen<br />

für die Bildungsförderung und für die Perspektive der Ganztagsschule insgesamt. Bis heute zieht sich<br />

dieser Aspekt durch die bildungspolitischen Perspektiven der Ganztagsschule, denn die Kultusministerkonferenz<br />

unterstreicht die Bedeutung der Ganztagsschule dahin gehend, „dass individuelles, leistungsdifferenziertes fachliches<br />

und soziales Lernen durch das ganztägige Angebot gefördert wird. Dabei reicht die Unterstützung weiter,<br />

denn durch die Teilnahme an schulischen Ganztagsangeboten werden die Schülerinnen und Schüler im Sinne<br />

ganzheitlicher Bildung nachhaltig in ihrer Entwicklung von kognitiven und sozialen Kompetenzen gefördert.<br />

Ebenso sollen Bildungserfolge von sozial benachteiligten Kindern und Jugendlichen unterstützt und damit deren<br />

Bildungschancen erhöht werden“ (KMK 2015, S. 4).<br />

In diesem Lichte lassen sich einige Ziele der Ganztagsschule umschreiben (vgl. bereits Holtappels 1995, 2003,<br />

2006a):<br />

– Sicherung und Verbesserung der Qualifikationsfunktion von Schule (Lernergebnisse von leistungsschwächeren<br />

und -stärkeren Schülerinnen und Schülern verbessern, Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss<br />

verringern),<br />

– Schaffung von Ansätzen zur Realisierung der erzieherischen, sozialintegrativen und sozialkommunikativen<br />

Aufgabe der Schule (Schule als Erfahrungsraum und Ort der Sozialisation betonen, soziale Probleme und<br />

Benachteiligung an Schule mindern, Inklusion fördern und das Zusammenleben Jugendlicher unterschiedlicher<br />

kultureller Erfahrungshintergründe als Erfahrungsraum der Vielfalt) sowie<br />

– Sicherstellung einer Infrastruktur für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern und Jugendlichen<br />

(Ganztagsschule als Familienergänzung, gerade auch als Unterstützung von Familien mit schwierigen Erziehungssituationen,<br />

Vereinbarkeit von Familie und Beruf).<br />

Diese Ziele sind an eine veränderte Konzeption von Schule gebunden, die ihre Sozialisations- und Integrationsfunktion<br />

gegenüber einer Halbtagsschule deutlicher hervorhebt, die Entwicklung von Unterricht und Schulleben<br />

gleichermaßen im Blick hat und sowohl schul- als auch sozialpädagogische Ansätze zu vereinen versucht, das<br />

heißt: die sich durch eine andere Zeitstruktur sowie pädagogische Öffnung auszeichnet und ganztägig organisiert<br />

ist. Ganztagsschulen stehen in ihrer Konzeption für die Möglichkeiten erweiterter pädagogischer und organisatorischer<br />

Modalitäten zur Erfüllung der gesellschaftlichen Funktion von Schule: Vor allem geht es dabei um

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