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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 83 – Drucksache 18/11050<br />

wird ausgearbeitet, dass die sich vervielfältigenden Lebens- und Ausdrucksformen auch in einer gegenwartsbezogenen<br />

Kinder- und Jugendhilfe wiederfinden sollten, die sich mit den individuellen Einstellungen und Orientierungen<br />

von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien angemessen auseinanderzusetzen hat, d. h. die Lebenswelt<br />

der Jugendlichen ruft eine daran orientierte, nämlich „lebensweltorientierte Jugendhilfe“ auf den Plan.<br />

Im Elften Kinder- und Jugendbericht (Deutscher Bundestag 2002) tritt ein Jugendbild hervor, das die Lebenswelten<br />

von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien im Kontext eines „Aufwachsens in öffentlicher Verantwortung“<br />

thematisiert. Nicht die Jugendgeneration als eigensinnige historische Gestalt, sondern die „nachwachsende<br />

Generation“ und deren Lebensverhältnisse geraten in den Blick.<br />

Insgesamt bleibt festzuhalten, dass innerhalb der Jugendberichterstattung der Blick auf die Jugend und deren<br />

Lebenssituation stark von jeweils sozialwissenschaftlichen Diskursen um das Lebensalter Jugend geprägt war<br />

und ist. Bis in die 1970er Jahre herrschte dabei das Bild einer Jugendgeneration vor, die sich als künftige Gesellschaftsgestalterin<br />

auf das Erwachsenenalter vorbereitete. In den 1980er Jahren veränderte sich dieses Bild, es<br />

ging nicht mehr in erster Linie darum, den gesellschaftlichen „Personalwechsel“ mit Blick auf die Jugendphase<br />

zu erfragen, sondern Gegenwartsdiagnosen der lebensweltlichen Verhältnisse zu erstellen und zu verstehen,<br />

z. B. wie Jugendliche ihre Jugend gestalten können. In den 1990er Jahren verschiebt sich diese Sichtweise weiter<br />

zugunsten sozialpolitischer Forderungen für die Kinder, Jugendlichen und ihre Familien. Mehr und mehr<br />

zieht in die Jugendberichte eine Befragung des Wohlfahrtsstaats nach den Lebenssituationen seiner Kinder und<br />

Jugendlichen ein. Sozialpolitische Herausforderungen für die Verbesserung/Veränderung der Lebenssituation<br />

der jeweiligen Jugendgeneration werden vor dem Hintergrund der empirischen Beschreibung von Diskrepanzen<br />

in den Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen als „Heranwachsende“ bzw. „junge Menschen“<br />

formuliert. Dabei tritt der Entwurf der historischen Generationsgestalt in den Hintergrund und es werden<br />

differente Möglichkeitsräume für Jugend sichtbar. Jugend wird nicht mehr als sozialstrukturelle Größe, sondern<br />

als Subjektstatus aus eigenem Recht formuliert. Dieses Bild von Jugend als subjektiv zugewiesener Lebensphase<br />

hat jedoch seinen Preis: Der Entwurf einer „Generation Jugend“, die als nachwachsende Generation die zukünftige<br />

Gesellschaft verantwortungsvoll zu entwerfen und zu übernehmen hat, gerät zunehmend aus dem<br />

Blickfeld. Hinter Jugend als individuell zu gestaltender Lebenszeit tritt das Bild von Jugend als „Spiegel der<br />

Gegenwartsgesellschaft“ ebenso zurück wie das der „Jugend als Zukunft der Gesellschaft“.<br />

1.1.9 Verdeckte Zusammenhänge: Von der Jugend zum Jugendlichen<br />

Auffällig an den hier vorgestellten Bildern von Jugend in unterschiedlichen Zusammenhängen ist der vollzogene<br />

Perspektivwechsel von einer Betrachtung von Jugend als gesellschaftlich verankerter Statuspassage und sozialhistorisch<br />

gelagertem Generationszusammenhang hin zum Handeln und zur sozialen Integration Jugendlicher<br />

als einzelne Individuen. Dies zeigt sich nicht nur im historischen Vergleich der Jugendberichte, die zunehmend<br />

die Diversität jugendlicher Lebenslagen gegenüber generationsspezifischen Lagerungen von Jugend betonen.<br />

Damit spiegeln die Jugendberichte in ihrer Abfolge zugleich die Ausdifferenzierung der Jugendforschung,<br />

die Jugend als gesellschaftlichen Zusammenhang und politisches Handlungsfeld zunehmend aus dem Blick<br />

verliert.<br />

Auch im Bereich der politischen Regulierung von Jugend werden definierte jugendpolitische Gestaltungsperspektiven<br />

durch eine Vielzahl von Einzelentscheidungen abgelöst, die in ihren Auswirkungen auf die Gestaltung<br />

des Jugendalters weitgehend unreflektiert bleiben. Im Kontext ökonomischer und pädagogischer Zusammenhänge<br />

werden Jugendliche vor allem als Gestaltende ihrer eigenen „Karriere“ und damit verbunden als Subjekte<br />

in der Verantwortung für ihre soziale Teilhabe und Selbstständigkeit konstruiert. Qualifikation und ökonomischer<br />

Erfolg erscheinen darin als die zentralen weichenstellenden individuellen Leistungen in einem intensivierten<br />

Wettbewerb um Zertifikate und den Umgang mit Unsicherheit.<br />

Die Frage nach der Jugend wird damit in verschiedenen Diskussionszusammenhängen durch eine verstärkte<br />

Fokussierung auf Jugendliche und ihre individuelle Entwicklung verdeckt. Zentraler Ausgangspunkt medialer,<br />

wissenschaftlicher, pädagogischer und auch politischer Konstruktionen von Jugend bleibt dabei zwar einerseits<br />

die Frage, wie die gesellschaftliche Integration von jungen Menschen strukturiert wird, andererseits wird diese<br />

Frage aber direkt an die Jugendlichen weitergereicht und der Druck zur Selbstoptimierung, dem junge Menschen<br />

ausgesetzt sind, dadurch gesteigert. Es wird nicht um die Jugend als Integrationsmodus von Gesellschaft<br />

gerungen, sondern zunehmend um Herausforderungen, die Jugendliche jeweils individuell zu meistern haben<br />

und mit denen sie sich jeweils individuell in der Gegenwartsgesellschaft platzieren müssen. So werden Erwar-

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