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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 93 – Drucksache 18/11050<br />

len abnimmt (vgl. Maschke/Stecher 2017, S. 41ff.). In Übereinstimmung damit weisen die Daten der Jugendstudien<br />

auf ein Absinken der sozialen Distanz zu Erwachsenen aus der Perspektive der Jugendlichen hin, wobei die<br />

Kritik an der Erwachsenengeneration und deren gesellschaftlichem Engagement für Jugendliche bestehen bleibt<br />

(ebd., S. 35ff.).<br />

Schließlich ist im Zuge der Debatten über die Entgrenzung der Jugendphase (z. B. Olk 1985; Hornstein 1988;<br />

Schröer 2004) gerade eine Flexibilisierung der durch spezifische Ereignisse definierten Grenzen des Jugendalters<br />

diskutiert worden. Die einheitliche zeitliche Struktur der Jugendphase für alle Jugendlichen einer Generation,<br />

so die These, löse sich vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Strukturwandels in multiple und plurale<br />

zeitliche Verlaufsformen des Übergangs ins Erwachsenenalter auf. Die These wurde fortgeführt in Befunden<br />

zum Vertrauensverlust von Jugendlichen in die Jugend als Phase der Sicherung sozialer Integration im Erwachsenenalter<br />

(z. B. Münchmeier 1998) und Überlegungen zur Transformation des Jugendmoratoriums von einem<br />

Raum der Freisetzung von Arbeit in einen Kontext der Bewältigung widersprüchlicher gesellschaftlicher Handlungsanforderungen<br />

(z. B. Böhnisch/Schröer 2008).<br />

Auf der Basis der Analyse von Daten aus Jugendsurveys zur Verselbstständigung am Übergang von der Kindheit<br />

in die Jugend zeigen Maschke und Stecher (2017, S. 15ff.), dass Ereignisse und Erfahrungen des Besitzes<br />

von Konsumgütern, des Eingehens von Partnerschaften und der Ausdehnung von Entscheidungsspielräumen<br />

von Jugendlichen historisch in immer früherem Lebensalter beschrieben werden. Sie machen aber auch deutlich,<br />

dass sich dieser Übergang ins Jugendalter zunehmend schleichend vollzieht und weder für ein spezifisches Lebensalter<br />

noch für alle sozialen Gruppen empirisch klar zu konturieren ist. Für den Übergang in das Erwachsenenalter<br />

sprechen die Autorin und der Autor aufgrund disparater Befundlagen zur historischen Entwicklung des<br />

Auszugsalters und des Einstiegsalters ins Erwerbsleben von einer „selektiven Verzögerung“ des Übergangs<br />

(ebd., S. 31). Diese Daten bestätigen erneut die grundsätzliche These einer Entgrenzung, die sich einerseits in<br />

der Perspektive der Flexibilisierung und Ausdifferenzierung des Jugendalters ausdrückt und andererseits die<br />

partielle Ausdehnung von Jugend in die Kindheit und ins Erwachsenenalter zur Folge hat.<br />

Wenn in diesem Bericht also davon ausgegangen wird, dass sich das Jugendalter mit zentralen Schritten der<br />

Verselbstständigung bis zum Teil weit in das dritte Lebensjahrzehnt ausdehnt, dann basiert diese Annahme auf<br />

Befunden zur Entwicklung von Erwerbstätigkeit, Teilnahmezahlen an Maßnahmen der formalen Bildung und<br />

der Veränderung des Verhältnisses von Berufsausbildung, Studium und Erwerbstätigkeit im Jugendalter seit den<br />

1960er Jahren. In einschlägigen Expertisen (vgl. Bäcker/Hüttenhoff 2017; Maschke/Stecher 2017) wird eine<br />

kontinuierlich steigende Einbindung junger Menschen in Institutionen der formalen Bildung sowie eine Verlängerung<br />

von Ausbildungsverhältnissen diagnostiziert. Der gegenteilige Befund einer Verkürzung der Statuspassage<br />

Jugend (vgl. Leven u. a. 2015, S. 49) bezieht sich demgegenüber auf ein Verständnis von Jugend als Lebensphase<br />

der Nicht-Erwerbstätigkeit und ignoriert, dass sich formale Bildung und (Neben-)Erwerbstätigkeit<br />

gerade für viele junge Erwachsene gegenwärtig nicht ausschließen (zum Wandel der Erwerbstätigkeit vgl. Bäcker/Hüttenhoff<br />

2016, S. 62f.). Diese Konstellation verweist insgesamt auf die der Entgrenzungsthese ebenfalls<br />

zu Grunde liegende Beobachtung, dass sich Grenzen zwischen Erwerbstätigkeit, Qualifikation, Freizeit etc. im<br />

Jugendalter verschieben, durchaus unterschiedlich im Alltagsleben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

auftreten und insgesamt neu auszuloten sind. Für die Jugendforschung wurde entsprechend bereits vor mehr als<br />

zehn Jahren herausgestellt, dass diese einen Nachholbedarf habe, die neuen Mischungen von Lernen, Arbeit und<br />

Freizeit im „Skript des modernen Jugendlebens“ zu analysieren (Lange 2003, S. 113).<br />

In diesem Kontext sind mit Blick auf vorliegende Befunde der empirischen Bildungs- und Sozialforschung<br />

deutliche Differenzen in der Relevanz und der inhaltlichen Ausgestaltung von Qualifikations- und Erwerbstätigkeitskarrieren<br />

sowie -erfahrungen von jungen Menschen unterschiedlichen Geschlechts, in differenten sozialstrukturellen<br />

Zusammenhängen, zwischen solchen mit unterschiedlichem Rechts- und Aufenthaltsstatus in der<br />

Bundesrepublik Deutschland sowie mit und ohne diagnostiziertem sonderpädagogischen Förderbedarf (vgl.<br />

Kap. 2 und 3) erwartbar.<br />

1.2.5 Kategorisierungen Jugendlicher im Zusammenhang sozialer Ungleichheiten<br />

Sozialstrukturelle Differenzen im Jugendalter werden gegenwärtig häufig in einer Weise thematisiert, die wesentlich<br />

mit dazu beitragen kann, (sozial)politische und institutionelle Regulierungen der generationalen Lage<br />

Jugendlicher zu überdecken. So dominieren Formen der Sozialberichterstattung und Untersuchungen zum Jugendalter,<br />

in denen Jugendliche individualisierend als Lernende, Arbeitskräfte oder Konsumierende adressiert

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