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Kinderund

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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 259 – Drucksache 18/11050<br />

Freizeitangebote wie Discobesuche mit zu den wichtigsten Freizeitaktivitäten zählen und Jugendliche in ländlichen<br />

Regionen in hohem Maße an Mobilität gebunden sind – stärker auch an finanzielle Ressourcen gekoppelt<br />

werden müssen. Insofern muss man auch hier von sozialen Ungleichheiten und unterschiedlichen Teilhabechancen<br />

an diesen jugendkulturellen Aktivitätsformen ausgehen (vgl. z. B. Leßmeister 2008, S. 115).<br />

Zentral ist zudem die Frage, ob Jugendliche in schrumpfenden ländlichen Regionen nicht auch von einer Isolation<br />

aus Peerbezügen – zumindest außerhalb schulischer Gelegenheitsstrukturen – bedroht sind. Hier erscheint<br />

das Internet sowie damit einhergehende neue digitale Kommunikationsmöglichkeiten als Option, Distanzen zu<br />

überwinden und auch zwischen weiter entfernten Orten Peerkontakte zu pflegen. Während die umfassende Bedeutung<br />

der neuen Kommunikationsmedien für Jugendliche allgemein gut belegt ist (vgl. Kap. 4), sind regionale<br />

Untersuchungen noch eher selten. Zumindest weist die Shell-Studie (2010) aus, dass Jugendliche im ländlichen<br />

Raum häufiger als städtische Jugendliche der Gruppe derjenigen zugeordnet werden können, die sich primär in<br />

sozialen Netzwerken bewegen (ebd., S. 102). Insbesondere für Jugendliche in strukturschwachen ländlichen<br />

Regionen stellt sich jedoch das Problem des Zugangs zum Internet, der oft nur über schwache Internetverbindungen<br />

oder im schulischen Rahmen möglich ist, was von Jugendlichen deutlich problematisiert und als Handlungseinschränkung<br />

erlebt wird (Beierle 2013). Zwar wird häufig betont, dass dies ein zu vernachlässigendes<br />

Thema sei, da für die Mehrzahl der Jugendlichen keine technischen Zugangsbeschränkungen bestünden, allerdings<br />

zeigt sich gerade in peripherisierten ländlichen Räumen, dass Jugendliche dies sehr wohl als Problem<br />

artikulieren und über den Beschluss, ländliche Regionen nicht mit Breitbrand auszustatten, hier eine „regionale<br />

Diskriminierung“ auch zukünftig vorliegen könnte, da gerade Jugendliche, die in diesen Regionen leben, besonders<br />

abhängig vom „schnellen Internet“ bzw. von mehreren Internetzugängen sind.<br />

Abwanderung<br />

Peripherisierung und regionale Strukturschwäche bedeutet vor allem für ältere Jugendliche am Übergang von<br />

der Schule zu Ausbildung und Beruf, Entscheidungen zu treffen, die sich auf ihren Verbleib in oder ihren Weggang<br />

aus ihrem Wohnumfeld auswirken. Dabei zeigen Untersuchungen, dass es den Jugendlichen nicht leicht<br />

fällt, diese Entscheidung zu treffen. Vor allem Jugendliche mit dem Wunsch zu bleiben, sehen dafür oft, ob der<br />

schlechten Arbeitsmarktlage, keine Möglichkeiten der Umsetzung. Bleibewünsche finden sich dabei vor allem<br />

bei Jugendlichen, die mit den regionalen Lebensbedingungen allgemein sehr zufrieden sind. In der Studie „Jugend<br />

in Brandenburg“ (Sturzbecher u. a. 2012), die jedoch nicht nach unterschiedlichen Regionstypen differenziert,<br />

sind dies immerhin 60 Prozent der Jugendlichen. Bei Becker und Moser (2013) zeigen sich hingegen deutliche<br />

Differenzen zwischen Jugendlichen in den strukturschwachen, schrumpfenden ländlichen Regionen, in<br />

denen nur etwa die Hälfte angibt, mit den Lebensbedingungen zufrieden zu sein, während dies in den wirtschaftsstarken,<br />

wachsenden ländlichen Regionen über 70 Prozent tun. Bindungsfaktoren an die Region aus Sicht<br />

der Jugendlichen sind vor allem gewachsene Freundeskreise und die Familie, während die Arbeitsmarktsituation<br />

der zentrale Faktor für Wanderungsentscheidungen ist (vgl. Stein 2013; Becker/Moser 2013).<br />

Mit dem Gedanken, aus der Region abzuwandern, setzen sich vor allem diejenigen Jugendlichen schon frühzeitig<br />

auseinander, die in den lokalen Bedingungen eine Einschränkung der eigenen Lebensqualität sehen. Der<br />

Abwanderungswunsch kann dann auch mit einer frühen Positionierung gegen den dörflichen Alltag und der<br />

Suche nach Alternativen verbunden sein. Gleichzeitig sehen sich Jugendliche in diesen Regionen zunehmend<br />

auch mit stigmatisierenden Zuschreibungen von außen konfrontiert, durch die das Bleiben mit Scheitern verbunden<br />

ist und übernehmen dies in ihre eigene Perspektive: „Obwohl die Jugendlichen durchaus ambivalente<br />

Einstellungen und Erfahrungen besitzen, benutzen sie den Code des negativen Images“ (Beetz 2009, S. 150),<br />

um Abwanderungswünsche zu begründen und übernehmen damit die defizitorientierte Perspektive auf ihre<br />

Lebensbedingungen und Handlungsräume in der Herkunftsregion.<br />

Peripherisierungsprozesse und das Aufwachsen in schrumpfenden ländlichen Regionen kann aus der Perspektive<br />

von Jugendlichen nicht grundlegend als Defizit charakterisiert werden. Zwar kritisiert ein Großteil der Jugendlichen<br />

fehlende Angebote und Peergelegenheiten sowie hohe Mobilitätsanforderungen, jedoch gehen Jugendliche<br />

ganz unterschiedlich mit diesen Gegebenheiten um. So zeigen sich in der Studie von Ludwig (2016)<br />

bei den befragten Jugendlichen ganz vielfältige Möglichkeiten und Aktivitätsformen der Wahrnehmung, Herstellung<br />

und Ausgestaltung von Handlungsräumen, die gleichzeitig unterschiedliche Spannungsmomente bergen<br />

(ebd., S. 199). Vor allem dann, wenn die Gegebenheiten vor Ort, wie lokale Vereinsstrukturen, mit den Interessenlagen<br />

der Jugendlichen zusammenfallen, wird die ländliche Region nicht mit einer Begrenzung von Handlungsspielräumen<br />

in Verbindung gebracht. Umgekehrt wird bei Auseinanderfallen jugendlicher Interessen und

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