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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 306 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

und deren Daten in vorher nicht antizipierten Kontexten zu verwenden, sondern auch kollektive Lebensstrukturen<br />

detailliert nachzuvollziehen. Die anonymen „Big Data-Muster wirken auf diese Weise genauso negativ auf<br />

die Persönlichkeitsentfaltung des Einzelnen und die freie Kommunikation und Willensbildung in der Gesellschaft<br />

insgesamt ein, wie dies das Bundesverfassungsgericht bereits im Volkszählungsurteil als Auswirkungen<br />

personenbezogener Überwachung prognostiziert hat“ (Roßnagel/Richter 2017 unter Bezugnahme auf BVerfGE<br />

65, 1 (43)).<br />

Um Jugend zu ermöglichen, sind daher zukünftig auch die Bedingungen des Persönlichkeitsschutzes, der Informations-<br />

und Meinungsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung – unter besonderer Berücksichtigung<br />

der spezifischen Kernherausforderungen in der Lebensphase Jugend – zu gewährleisten und Datenschutzregelungen<br />

und -maßnahmen hieran anzupassen. Die Politik und insbesondere auch die Unternehmen sind daher<br />

zukünftig verstärkt in die Pflicht zu nehmen, darüber hinaus zeichnen sich auch neue Aufgabenfelder für die<br />

Medienpädagogik und -forschung ab.<br />

Aus demokratietheoretischer und rechtlicher Sicht wird durch die zu beobachtende Monopolisierung und Konzentration<br />

auf wenige Unternehmen und die Filterung von Informationen v. a. die Meinungsvielfalt und die<br />

Vielfalt kultureller und politischer Sichtweisen begrenzt, wodurch die politische Chancengleichheit gefährdet<br />

wird und das Risiko von Diskriminierungen steigt (vgl. Roßnagel/Richter 2017). Auch werden Big Data-<br />

Analytics bereits dazu genutzt, die Meinungsbildung bewusst zu steuern, so z. B. im US-amerikanischen Wahlkampf<br />

2012 (Richter 2013).<br />

Weiterhin gefährdet ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht, insbesondere das Grundrecht auf informationelle<br />

Selbstbestimmung. Nach wie vor sollte jeder und jede selbst darüber entscheiden können, wann und innerhalb<br />

welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte über ihn oder sie offenbart werden (BVerfGE 65, 1 (42) – und<br />

Entscheidungen auch nachträglich korrigieren dürfen: „Das Grundrecht dient dabei auch dem Schutz vor einem<br />

Einschüchterungseffekt, der entstehen und zu Beeinträchtigungen bei der Ausübung anderer Grundrechte führen<br />

kann, wenn für den Einzelnen nicht mehr erkennbar ist, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über ihn<br />

weiß.“ (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. August 2006 – 2 BvR 1345/03 – Rn.<br />

65). Da Jugendliche mit der Wahrnehmung ihrer Auskunfts- und Mitwirkungsrechte teils strukturell überfordert<br />

sind, benötigen sie professionelle Unterstützung in der Kontrolle und Durchsetzung ihrer Rechte. Vorgeschlagen<br />

wir hier u. a., dass die Aufsicht der Datenschutzbeauftragten sich insbesondere auf die Unterstützung Jugendlicher<br />

beziehen sollte (vgl. Roßnagel/Richter 2017).<br />

Sicherlich haben und können Jugendliche auch selbst dafür Sorge tragen, dass Internetanbieter und andere möglichst<br />

wenig über sie erfahren. Sie können z. B. ihre Auskunfts-, Löschungs- und Berichtigungsansprüche nutzen,<br />

die ihnen nach §§ 33 ff. BDSG, ab dem 25.5.2018 Art. 12 ff. DSGVO, zustehen, um die bereits erhobenen<br />

Daten zu kontrollieren oder zu korrigieren (vgl. Roßnagel/Richter 2017). Aus drei Gründen geraten diese Mittel<br />

des Selbstdatenschutzes aber an ihre Grenzen: Erstens widerspricht die weitgehende Datenaskese dem derzeitigen<br />

gesellschaftlichen Kommunikationsparadigma: Wer nicht (digital) kommuniziert, nimmt nicht teil. Weiterhin<br />

sind Jugendliche im Rahmen der gesellschaftlichen Kernherausforderungen an diese Lebensphase – der<br />

Selbstpositionierung, Qualifizierung und Verselbstständigung – in besonderem Maße betroffen. Darüber hinaus<br />

kann die Datenaskese auch durch statistische Korrelationen im Zuge von Big Data Analytics umgangen werden.<br />

Aus diesen Gründen ist es weiterhin wichtig, Medienkompetenz und damit auch Datensparsamkeit zu fördern.<br />

Jugendliche ausschließlich hierauf zu verweisen, greift aber zu kurz, da „die Ausübung von Betroffenenrechten,<br />

also die Durchsetzung von Rechtsansprüchen gegenüber internationalen Großunternehmen von Kindern und<br />

Jugendlichen noch weniger erwartet werden kann als von Erwachsenen.“ (vgl. Roßnagel/Richter 2017). Neben<br />

einer verstärkten Förderung insbesondere kritischer Medienkompetenz (Dander 2014; Brüggen 2015), sind zukünftig<br />

vor allem der Selbstdatenschutz und die Betroffenenrechte Jugendlicher zu stärken und die Datenschutzinfrastruktur<br />

anzupassen, nicht zuletzt unter verstärkter Mitwirkung auch von (und mit den) Jugendlichen (vgl.<br />

Aßmann u. a. 2016).<br />

Anfang 2012 hat die EU-Kommission einen umfassenden Modernisierungsvorschlag für das europäische Datenschutzrecht<br />

in Form einer Datenschutz-Grundverordnung vorgelegt. Es folgten ein überarbeiteter Entwurf des<br />

EU-Parlaments mit vielen Änderungsvorschlägen in 2014 und zuletzt, Mitte 2015, eine wiederum stark überarbeitete<br />

Version des Entwurfs vom Rat der Europäischen Union. Die Verabschiedung der Datenschutz-<br />

Grundverordnung erfolgte am 27. April 2016, sie trat am 25. Mai 2016 in Kraft. Für die Mitgliedstaaten gilt sie<br />

nach einer Übergangsfrist von zwei Jahren ab dem 25. Mai 2018. Die Datenschutz-Grundverordnung weist zwar<br />

einige positive Entwicklungen zur Durchsetzung einheitlicher europäischer Datenschutzstandards auf, wie etwa

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