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Kinderund

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Drucksache 18/11050 – 312 – Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode<br />

worten darüber hinaus Gewalt. Beide Spektren sprechen Jugendliche im Internet gezielt an: „Die Propaganda<br />

zielt darauf ab, dass neue Anhänger sich entweder dem militanten Dschihad in den Konfliktgebieten in Syrien<br />

und dem Irak anschließen oder terroristische Taten in westlichen Gesellschaften durchführen“ (Glaser/Frankenberger<br />

2016, S. 8). Die Rekrutierungsversuche finden vor allem über die bei Jugendlichen beliebten<br />

Sozialen Netzwerke, Videoplattformen und Kurznachrichtendienste statt. Die auffällige Zunahme audiovisueller<br />

Propagandamittel wird nach einer anfänglichen Website- und Forenpräsenz auch als dritte Phase islamistischer<br />

Internetpräsenz bezeichnet (Haverkamp 2013). Gearbeitet wird mit unverfänglichen Formulierungen<br />

und unverdächtigen Aufmachungen. Eine besondere Breitenwirkung erzielen Beiträge im Internet (z. B. über<br />

den Gefällt-mir-Button) vor allem dann, wenn sie an aktuelle Ereignisse anknüpfen oder stark emotionalisieren<br />

(jugendschutz.net 2015b). Die großen bekannten Suchmaschinen kristallisieren sich als zentrale Schnittstellen<br />

für Jugendliche zu Angeboten im Netz heraus.<br />

Auffällig ist, dass islamistische Akteure ihre Propagandavideos mit unverdächtigen jugendnahen Begriffen labeln<br />

und häufig auf popkulturelle Elemente und Zitate (z. B. Comics, digitale Online-Spiele, Markensymbole)<br />

zurückgreifen (Meier 2015). Sie knüpfen an die große Affinität Jugendlicher zu audiovisuellen Medien an (Medienpädagogischer<br />

Forschungsverbund Südwest 2015, S. 22). Demzufolge sind Videos ein zentrales Propagandainstrument<br />

des Islamismus im Internet: „Erscheinungsform, Funktion und Thematik variieren stark: Es existieren<br />

zahlreiche Rekrutierungsvideos für den bewaffneten Dschihad, Aufnahmen von Hasspredigern sowie<br />

Folter und Hinrichtungsszenen aus Konfliktgebieten; darüber hinaus werden auch fiktionale Filme produziert,<br />

die eine lebensweltorientierte Ansprache über Alltagsgeschichten und Sympathieträger suchen“ (jugendschutz.net<br />

2015b, S. 11). Musikvideos (Kampf-Anasheed 62 , Hip-Hop) spielen eine ebenso wichtige Rolle in der<br />

Propagandastrategie, zumal sie Ausdrucksmöglichkeiten für Provokation und Protest bieten. Instrumentalisiert<br />

werden Themen (z. B. der Nahostkonflikt) und Personengruppen (z. B. Kinder als Henker). Darüber hinaus<br />

inszenieren sich dschihadistische Gruppen als Beschützer, Versorger und Vorbilder. Gelockt wird in der dschihadistischen<br />

Propaganda mit der Vergebung aller Sünden und der Erlangung der „höchsten Stufe im Paradies“<br />

(Glaser/Frankenberger 2016, S. 9).<br />

Insgesamt registrierte jugendschutz.net von Anfang 2012 bis Mitte 2015 etwa 1.050 Verstöße, davon nahezu<br />

alle im Social Web. Bei 29 Prozent handelte es sich um grausame Gewaltinhalte, die in verherrlichender, verharmlosender<br />

oder in einer die Menschenwürde verletzenden Form dargestellt wurden. In 22 Prozent der Fälle<br />

wurde der Krieg in Form des bewaffneten Dschihad verherrlicht. Volksverhetzende Äußerungen (8 %) richteten<br />

sich vor allem gegen Juden, Nicht-Muslime, Schiiten und Homosexuelle (ebd., S. 19). Jugendschutz.net verweist<br />

insgesamt auf die notwendige Zusammenarbeit mit ausländischen Fachstellen und Betreibern der großen<br />

internationalen Plattformen und fordert effektivere Schutzmaßnahmen: „Effektive Ansatzpunkte sind die Nutzungsbedingungen<br />

der Dienste – die meisten Anbieter untersagen Hass-Inhalte, allerdings zeigt die Arbeit von<br />

jugendschutz.net auch, dass Support-Mitarbeiter von Plattformen nur selten Kenntnis über neue Organisationsverbote<br />

oder aktuelle jugendrelevante Entwicklungen haben“ (Glaser/Frankenberger 2016, S. 10). Empfohlen<br />

wird daher, Gegenaktivitäten auf verschiedenen Ebenen zu etablieren: Relevante Entwicklungen müssten längerfristig<br />

analysiert werden, Betreiber von Plattformen sollten effektivere Schutzmaßnahmen entwickeln und<br />

ergänzend dazu wären im schulischen und außerschulischen Bereich medienpädagogische Präventionsansätze<br />

notwendig (ebd. S. 22). Nicht zuletzt zeigt sich hier auch ein erhöhter Bedarf an politischer Bildung.<br />

Forschungen über die Propagandawirkung bzw. Anwerbung von Jugendlichen im Internet liegen aktuell nicht<br />

vor oder verfolgen vor allem sicherheitspolitische Zwecke. Erste Einblicke liefern hier allein der Verfassungsschutz<br />

und das Bundeskriminalamt (BKA 2015), deren Ergebnisse ausschließlich auf Informationen der Verfassungsschutz-<br />

und Polizeibehörden der Länder und des Bundes beruhen und daher aus wissenschaftlich-ethischer<br />

Sicht als bedenklich einzustufen sind. Den Beobachtungen zufolge würde sich aufgrund der relativ guten Erreichbarkeit<br />

Syriens sowie der Möglichkeit, über das Internet Netzwerke aufzubauen und Propaganda effektiver<br />

für unterschiedliche Zielgruppen platzieren zu können, eine „Sogwirkung“ entwickeln, „die seit Mitte des Jahres<br />

2012 zu einem massiven Anstieg an islamistisch motivierten Ausreisen in Richtung Syrien oder Irak führte“<br />

(ebd. S. 3). Das Internet wird in dem Bericht neben dem „sozialen Nahbereich“ und „der Szene“ als relevanter<br />

Radikalisierungsfaktor aufgeführt. Begründet wird dies damit, dass bei knapp der Hälfte (47 %) der 201 Personen<br />

(von insg. 677 Personen) Aktivitäten in Sozialen Netzwerken bekannt waren. Hingewiesen wird allerdings<br />

auch darauf, dass nur bei 14 Prozent dieser Gruppe keine anderen Bezüge zu einer salafistischen oder islamisti-<br />

62<br />

Bei den sogenannten „Kampf-Anasheed“ handelt es ich um eine „dschihadistische Variante des traditionellen muslimischen A-capella<br />

Gesangs, die auch nach strenger Religionsinterpretation erlaubt ist“ (Glaser/Frankenberger 2016, S. 10).

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