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schon auf dem Bahnhof stehen, und ich lief wie um mein Leben. Im<br />

letzten Augenblick sprang ich noch auf das Trittbrett des anfahrenden<br />

Zuges.<br />

Auf was hatte ich mich da eingelassen? Erst langsam wurde mir<br />

meine unmögliche Situation bewußt. Mein Abteil war fast leer, nur<br />

ein älterer Mann, in seine Zeitung vertieft, saß mir gegenüber. Bei<br />

dem Schaffner, der die Fahrkarten kontrollierte, löste ich eine Karte<br />

bis Wien.<br />

Am liebsten wäre ich schon an der nächsten Station wieder ausgestiegen.<br />

Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Minister in dem<br />

Zug finden sollte. Ich wußte doch nicht einmal, wie er aussah.<br />

Auch hatte ich noch nie mit ihm korrespondiert. Ich war nur informiert,<br />

daß die letzte Entscheidung über die Freigabe deutschen Eigentums<br />

in Österreich beim Finanzminister liege.<br />

Was war geschehen, daß plötzlich von Vernichtung meines Filmmaterials<br />

gesprochen wurde? Trotz aller Schwierigkeiten und jahrelangen<br />

Verzögerungen war von einer so schrecklichen Möglichkeit<br />

noch nie die Rede gewesen. Im Gegenteil, Monsieur Langlois von<br />

der «Cinémathèque» hatte mir zweimal mitgeteilt, daß mein Filmmaterial<br />

abgeholt werden kann. In einem seiner letzten Briefe schrieb<br />

er, daß er nun schon seit Monaten verlangte, von den Hunderten<br />

von Schachteln mit dem Filmmaterial befreit zu werden, sie füllten<br />

ein ganzes Zimmer in seinem Blockhaus. «Alles liegt zum Verladen<br />

bereit», schrieb er, «es liegt nur an der österreichischen Gesandtschaft,<br />

die Sie drängen müssen, die Filme abzuholen.»<br />

Zweifellos war Monsieur Langlois eine seriöse Persönlichkeit,<br />

ich mußte ihm glauben. Aber seine Worte standen im krassen Gegensatz<br />

zu dem, was offenbar geschah.<br />

Nach zwei Stunden Fahrt, in denen ich mich langsam entkrampft<br />

hatte, begann ich meine Gedanken zu ordnen. Zuerst wollte ich<br />

mich in den Abteilen Erster Klasse umschauen. Soweit ich mich<br />

erinnern kann, gab es außer den Schlafwagenabteilen nur einen einzigen<br />

Waggon. Ich war unschlüssig, und mit Herzklopfen ging ich<br />

langsam die Abteile der Ersten Klasse entlang. Die meisten Fenster<br />

waren zugezogen. Ich gab mir einen Ruck und öffnete eine Tür:<br />

«Verzeihung, ist hier ein Dr. Kamitz?» Kopfschütteln. Im nächsten<br />

Abteil fühlte ich mich schon etwas freier, und dann ging es immer<br />

leichter — ich kam mir vor wie eine Postbotin, die ohne Hausnummer<br />

eine Depesche abgeben soll.<br />

Nach dieser erfolglosen Suche konnte der Minister ja wohl nur in<br />

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