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Mein Doppelleben<br />

Nun genoß ich schon seit einer Woche die Gastfreundschaft der<br />

Baronesse. In dieser Zeit führte ich ein seltsames Doppelleben.<br />

Einerseits lebte ich fürstlich, hatte ein schönes Zimmer mit antiken<br />

Möbeln, ein großes modernes Bad, mit sizilianischen Fliesen ausgelegt,<br />

und wurde mit italienischen Köstlichkeiten verwöhnt. Andererseits<br />

konnte die Baronesse nicht ahnen, daß ich arm wie ein<br />

Aschenbrödel war. Sie wußte nicht, wie es mir in den Stunden<br />

erging, wenn ich mich allein in Rom zurechtfinden mußte. Fast<br />

täglich, wenn sie mit ihrem Auto in die Stadt fuhr, wo sie ihre<br />

Einkäufe erledigte und ihre Besuche machte, nahm sie mich mit.<br />

Wir trafen uns dann meist an der «Spanischen Treppe», wo sie<br />

mich nachmittags, manchmal aber auch erst am Abend, abholte. In<br />

der Zwischenzeit war ich allein auf mich angewiesen. Das Laufen<br />

auf den Pflastersteinen war ermüdend, Geld für einen Bus hatte ich<br />

nicht. Ganz schlimm wurde es, wenn die Mittagszeit herankam<br />

und ich hinter den Scheiben die Leute sah, wie sie ihre Pasta aßen<br />

oder genüßlich Eiscremes und Kuchen verzehrten.<br />

Abends im Schlößchen beim Dinner, meist wurde erst gegen 22<br />

Uhr gegessen, wurde mir das Groteske meiner Situation erst recht<br />

bewußt. An der mit Kerzen und Blumen festlich geschmückten<br />

Tafel fühlte ich mich nicht wohl. Wie in einer Filmszene kam mir<br />

der gepflegte grauhaarige Diener vor, der mit weißen Handschuhen<br />

servierte.<br />

In den ersten Tagen war ich von dieser romantischen, luxuriösen<br />

Atmosphäre fasziniert, aber nun begann sie, mich von Tag zu Tag<br />

mehr zu belasten. Ich wollte heim zu meiner Mutter. Das Problem<br />

war, daß ich wohl eine Rückfahrkarte ab Cortina, nicht aber ab<br />

Rom hatte. Mir fehlten ungefähr fünfzig Mark, und ich wagte niemanden<br />

darum zu bitten.<br />

Mein altes Leiden überfiel mich von neuem und zwang mich,<br />

einige Tage im Bett zu bleiben. Myrjan — wir duzten uns inzwischen<br />

— sprach von einem Arzt, der mir vielleicht helfen könnte.<br />

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