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eine rote Lampe ein Bordell vermuten ließ, weigerte ich mich dort<br />

über Nacht zu bleiben. Der Mann schien ratlos zu sein, und ich<br />

hatte den Eindruck, als tue es ihm leid, uns nicht helfen zu können.<br />

Eine Weile überlegte er, dann hatte er anscheinend eine neue Idee.<br />

Wir fuhren in immer engere Straßen, und wieder überfiel mich Angst.<br />

Endlich ließ er mich anhalten.<br />

«Hier wohnt meine Mutter», sagte er, «ich muß sie fragen, ob sie<br />

Sie aufnimmt.»<br />

Dann verschwand er im Dunkeln einer Hauswand. Nun mußten<br />

wir uns entscheiden: Wegfahren, um dieser unbehaglichen Situation<br />

zu entrinnen, oder das Risiko eingehen, hier zu übernachten und<br />

unser Auto ungeschützt in dieser engen Gasse stehenzulassen. Als<br />

der Fremde zurückkam und uns aufforderte, ihm zu folgen, zögerten<br />

wir zwar, aber nachdem ich den Wagen ganz nahe an die rechte<br />

Häuserwand gefahren und abgeschlossen hatte, gingen wir mit ihm<br />

ins Haus. Dort sah ich am Ende einer steilen Treppe eine alte Frau<br />

im Nachthemd stehen. Sie hielt eine Kerze in der Hand, begrüßte<br />

uns freundlich und führte uns in ein Zimmer, in dem ein hohes<br />

Bauernbett stand. Dort ließ sie eine Kerze stehen und verschwand.<br />

Wir waren endlich allein. Das Zimmer war klein und mit Möbeln<br />

vollgestellt. Unser Bett war ein Ungetüm aus schwerem Holz. Um<br />

sich hineinzulegen, mußte man fast klettern. Wir waren viel zu<br />

aufgeregt, um schlafen zu können. Trotzdem verfielen wir doch<br />

noch am frühen Morgen in einen Dämmerschlaf.<br />

Wie groß war unser Erstaunen, als die Mutter am nächsten Morgen<br />

unser Zimmer betrat, sauber gekleidet, nett frisiert, und uns<br />

mit einem freundlichen Lächeln zum Frühstück einlud. Wir folgten<br />

ihr die Treppe hinunter, dann noch eine Treppe tiefer in die freundliche<br />

Wohnküche, wo ihr Sohn, ebenfalls mit einem frischen Hemd<br />

bekleidet, uns begrüßte. Jetzt, bei hellem Licht, erkannte ich erst<br />

sein gutmütiges Gesicht. Er konnte kaum seine Freude, uns geholfen<br />

zu haben, verbergen.<br />

Unsere Verblüffung wuchs, als die Mutter uns ein unwahrscheinlich<br />

gutes Frühstück vorsetzte, duftenden Bohnenkaffee, französische<br />

Backwaren, Butter, Honig und Marmelade. Das konnten<br />

keineswegs arme Leute sein, denn in der Wohnküche sah ich viele<br />

Kupfergefäße und schöne Keramiken. Während wir uns labten,<br />

brachte die Frau ein Fotoalbum. Nun erst verstanden wir den Grund<br />

dieser überraschenden Gastfreundschaft: Ihr Sohn war als französischer<br />

Soldat in deutsche Gefangenschaft geraten und hatte das Glück<br />

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