09.01.2013 Aufrufe

Untitled

Untitled

Untitled

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Frau Fanny Raithel aus der bekannten Musiker- und Bankiersfamilie<br />

Mendelssohn-Bartholdy gehörte. Das Problem war die Miete. Eine<br />

Wohnung unter 300 DM konnte uns der Bürgermeister nicht anbieten.<br />

Frau Raithel, eine sympathische, ältere Dame, war bereit, uns die<br />

Miete für die ersten Monate zu stunden.<br />

In Villingen, eine halbe Stunde Eisenbahnfahrt entfernt, fand mein<br />

Mann bei der Weinhandlung «Voll» Arbeit als Lastwagenfahrer und<br />

bald auch als Weinverkäufer. Eine große Hilfe, denn wir konnten<br />

nun Wein bei den Bauern gegen Lebensmittel eintauschen.<br />

Weitere Hilfe erhielt ich durch Hanni, dem jungen Mädchen aus<br />

Breisach, das mit uns gekommen war. Ich mochte sie vom ersten Tag<br />

an, nicht nur wegen ihrer äußeren Erscheinung — sie war auffallend<br />

hübsch —, sondern vor allem wegen ihrer Fröhlichkeit und menschlichen<br />

Wärme. Sie war damals neunzehn und wollte eigentlich studieren.<br />

Nach meiner Freilassung wollte ich sie als Sekretärin oder Cutterin<br />

ausbilden lassen, vorläufig aber wurde sie unsere Haustochter.<br />

Bald sahen wir, daß auch in Königsfeld die Not sehr groß war. Es<br />

gab nichts zu kaufen, nicht einmal einen Bindfaden. Die Läden<br />

waren ratzekahl, und einen «Schwarzen Markt» gab es hier auch<br />

nicht. Ein Reichtum blieb uns: die Pilze. Es war Herbst, und täglich<br />

gingen wir in den Wäldern Pilze sammeln. Eine solche Menge an<br />

Pilzen hatte ich noch nie in einem Wald gesehen. Aber es waren<br />

nicht nur die Pilze, die uns so viel Freude bereiteten, es war das<br />

Erlebnis des Waldes. Bei jedem Spaziergang hatte ich das wunderbare<br />

Gefühl von Freiheit. Keine Verhöre, keine Polizisten. Ich genoß<br />

die Ruhe. In Bäume war ich schon immer verliebt gewesen,<br />

und dieser Wald hier war wie aus einem Märchenbuch. Meine<br />

Kindheitserlebnisse kamen mir in Erinnerung, sogar die Anfangsstrophe<br />

meines ersten Gedichts:<br />

«Am dunklen Waldesrand, wo alles ruht und schweigt,<br />

träumt ich von Himmelslust und Glockenklang<br />

und hatte mein Haupt zur Ruhe geneigt ...»<br />

Auch als der erste Schnee fiel, hatte sich an unserer Lage noch<br />

nichts geändert. Ich hatte verschiedene Briefe und Gesuche an alle<br />

nur möglichen französischen Dienststellen geschickt, erhielt aber<br />

von keiner eine Antwort.<br />

Unerwartet bekamen wir eines Tages Besuch. Zuerst wagten wir<br />

nicht, ihn in unser Zimmer zu lassen — einen jungen Mann mit<br />

27

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!