Die Anderen - Über mich

Die Anderen
by Frauke Feind
junge Frau frontal in sie hinein. Heather schüttelte den Kopf und wollte sich nach ihrer
Handtasche bücken, die ihr bei dem Zusammenstoß aus der Hand gefallen war. Doch ein
kahlköpfiger, älterer Mann war schneller. Er bückte sich, lächelte Heather freundlich an
und reichte ihr kommentarlos ihre Tasche. Heather lächelte freundlich zurück und be-
dankte sich.
*****
Eigenartigerweise hatte sie das Gefühl, den Mann, der ihr so nett die Tasche auf-
gehoben hatte, danach noch einmal wieder gesehen zu haben. Und plötzlich schlug sich die
junge, zierliche Frau mit der Hand vor die Stirn. Sie konnte es sich nur mit dem Schock der
Entführung erklären, dass sie ihn nicht sofort erkannt hatte. Der Mann, der ihr die Tasche auf-
gehoben hatte, war dieser Locke drei Zellen weiter. Daher war er ihr so bekannt vor-
gekommen. Locke selbst hatte die junge Frau ziemlich schnell als seine Zufallsbekanntschaft
aus dem Restaurant wieder erkannt. Er hatte ein gutes Gedächtnis für Menschen. Dass er
Heather schon einmal flüchtig gesehen hatte, hielt er nur nicht für relevant. Warum aus-
gerechnet diese Menschen hierher geschafft worden waren, beschäftigte den geheimnisvollen
Mann viel mehr. Er hatte sich schon seine Gedanken gemacht. Dass es unter den Mit-
gefangenen einige gab, die bei hohen Regierungsbehörden arbeiteten, war mit Sicherheit kein
Zufall. Wie die vier jungen Leute in dieses Spiel passten, diese Kate mit ihrem Freund
Sawyer und die junge Lehrerin mit Jake, war Locke bisher noch ein Rätsel, welches er aber zu
Lösen gedachte. Der Job, aus dem Jake so ein Geheimnis gemacht hatte, konnte ein Schlüssel
für seinen Aufenthalt hier sein. Der smarte Südstaatler schien sein Geld auf nicht ganz legale
Weise zu verdienen. Welche Fähigkeiten mochten für diese Leute, die sie Gefangen hielten,
von Bedeutung sein? Die einzige mögliche Erklärung dafür, selbst ausgewählt worden zu
sein, war für Locke die Tatsache, dass er nach einer schweren Wirbelsäulenfraktur vor vier
Jahren, die ihn an den Rollstuhl gefesselt hatte, von einem Tag auf den Anderen wieder hatte
laufen können.
*****
Locke hatte das Gebiet um den Uluru, den heiligen Berg der Anangu, der an-
sässigen Aborigines, aufgesucht, weil eine innere Stimme ihm gesagt hatte, dass die dort
herrschenden Energien ihm zu geistiger und körperlicher Erneuerung verhelfen könnten.
Die Anreise war für den an den Rollstuhl gefesselten Mann sehr anstrengend gewesen.
Dass sein eigener Vater ihn vor vier Jahren aus dem achten Stock eines Hochhauses ge-
stoßen hatte, um ihn daran zu hindern, einen geplanten Betrug zu durchkreuzen, hatte
den Mann seelisch zerrüttet. Locke hatte sich sein ganzes Leben lang danach gesehnt,
60