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RWI - Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung

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Kapitel VIII: Die räumliche Dimension des handwerklichen Strukturwandels 363<br />

Kasten VIII-2<br />

Musicon Valley – Ein lokales Produktionssystem im Wandel<br />

Mit der Ansiedlung böhmischer Protestanten nach dem dreißigjährigen Krieg (ca.1650) entwickelte sich<br />

rund um die heutige Ortschaft Markneukirchen der Instrumentenbau. Dem anfangs dominierenden Ge igenbau<br />

folgte im 18. Jahrhundert die Bogen- und Saitenmacherei. Ferner wurde die Produktionspalette<br />

um den Holz- und Metallblasinstrumentenbau erweitert. Im folgenden Jahrhundert entwickelte sich die<br />

Herstellung von Handzuginstrumenten zu einem dominierenden Produktionszweig. In der zwe iten Hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts wurde der Bau elektronischer Tasteninstrumente aufgenommen. Im Gegensatz zu<br />

anderen regional gebundenen Produktionssystemen (z.B. das Textilgewerbe im sog. „3.Italien“) wies das<br />

Netzwerk im Musikwinkel immer die Besonderheit auf, dass es nur über wenige Bindeglieder und<br />

Schnittstellen zwischen den produzierenden Unternehmen verfügt. Dazu zählen die Maschinendreherei,<br />

Holzschnitzereien sowie Betriebe welche instrumentenspezifische Holzzuschnitte vornehmen.<br />

Seine Blütezeit erlebte das lokale Produktionssystem an der Wende vom 19. zum 20.Jahrhundert. Die Exportbeziehungen<br />

reichten über Europa bis nach Nordamerika. Nach dem zweiten Weltkrieg und der<br />

Gründung der DDR wurden die Gewerbebetriebe verstaatlicht und unter dem Dach des Musima-<br />

Kombinates vereinigt. Als wichtigster Absatzmarkt fungierte nun die ehemalige Sowjetunion, welche v.a.<br />

mit Harmonikas und Akkordeons bedient wurde. Nach der deutschen Wiedervereinigung erfolgte die<br />

Neueinrichtung vieler traditionsreicher Firmen. In und um Markneukirchen setzen zur Zeit rund 110 Betriebe<br />

mit insgesamt 2.000 Beschäftigten die vor 350 Jahren begründete Tradition des Musikinstrumentenbaus<br />

fort. Das lokale Produktionssystem wird derzeit von Kleinstunternehmen mit 1 bis 4 Beschäftigten<br />

geprägt. Dabei handelt es sich oft um reine Familienbetriebe. Ihr Bemühen galt im vergangenen Jahrzehnt<br />

der Wiedererlangung einstiger Stärke auf den westeuropäischen, den nordamerikanischen und asiatischen<br />

Märkten.<br />

Durch die Aufnahme in das Bundesprogramm InnoRegio hat der Musikwinkel die Chance erhalten, alte<br />

Stärken wieder zu erlangen und neue hinzu zugewinnen. Die im geförderten Musicon Valley – Projekt<br />

zusammengeschlossenen Instrumentenbauer, ihre Zulieferer, Beratungseinrichtungen sowie der ortsansässige<br />

Lehrstuhl <strong>für</strong> Musikinstrumentenbau der Fachhochschule Zwickau bemühen sich gemeinsam um die<br />

Entwicklung innovativer Geschäftsideen. So wurde zusammen mit den benachbarten Kurkliniken in Bad<br />

Elster ein Konzept zur Behandlung berufsbedingter Krankheiten von Orchestermusikern entworfen. Im<br />

Rahmen internationaler Workshops werden renommierte Orchestermusiker in eine neu gegründete Musikakademie<br />

eingeladen. Dort arbeiten sie gemeinsam mit den vogtländischen Instrumentenbauern an der<br />

Verbesserung ihrer Produkte. Auf der Basis historischer Studien werden in Vergessenheit geratene Instrumente<br />

rekonstruiert, um Anregungen <strong>für</strong> neue Produktideen zu erhalten.<br />

Einen sehr wichtigen Bereich der Projektarbeit stellt die Sicherung des Berufsnachwuchses dar. Momentan<br />

wird der Nachwuchsmangel in den Familienbetrieben dadurch behoben, dass aus den benachbarten<br />

böhmischen Produktionsstätten Fachkräfte abgeworben werden. Dieser Umstand führt zu vielschichtigen<br />

Konflikten im deutsch-tschechischen Grenzraum. Gemeinsame Konzepte zur Berufsbildung sind dringend<br />

erforderlich, um die langfristige Existenz des Instrumentenbaus in der Region zu sichern. Gut gemeinte<br />

Ansätze scheitern jedoch, wenn der bis vor kurzem durch zahlreiche Familienbetriebe gezeigte<br />

mangelnde Willen zur Kooperation nicht überwunden wird. Trotz dieser Probleme verfügt das Musicon<br />

Valley über genügend Potenziale, um sich als ein sehr innovatives lokales Produktionssystem des Instrumentenbaus<br />

im internationalen Wettbewerb zu behaupten.<br />

Quellen: Datzmann et al. 2001; Eickelpasch et al. 2001, 2002; MusiconValley 2002; Interviews Nr. 6 bis 8 .<br />

3. Siedlungsstruktur und Muster räumlicher Verteilung im Handwerk<br />

3.1. Der Einfluss der Wirtschafts- und Siedlungsstruktur auf die räumliche Orientierung<br />

des Handwerks<br />

Traditionell bedienen große Teile der (heterogenen) Handwerkswirtschaft vor allem die<br />

Bedürfnisse privater Haushalte in lokalen und regionalen Märkten. Folglich sind die

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