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RWI - Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung

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Kapitel X: Modernisierung des Handwerksrechts 441<br />

einen Höhepunkt in einer 150jährigen akademischen Auseinandersetzung um Sinnhaftigkeit<br />

sowie rechtes Maß, Instrumente und sektoralen Fokus einer Regulierung des<br />

Handwerks dar. Von Anfang an ist dabei die Debatte um Marktzutrittsbeschränkungen<br />

und Befähigungsnachweise auch in hohem Maße emotionalisiert und erbittert geführt<br />

worden (vgl. hierzu die Darstellung um die Aufhebung des Befähigungsnachweises in<br />

Österreich in Mayer 1894) – ein Charakterzug, den sie wohl in erheblichem Maße bis<br />

heute bewahrt hat. Nach dem Grund hier<strong>für</strong> braucht man nicht lange suchen: Bei der<br />

Auseinandersetzung um Regulierungen im Allgemeinen und Befähigungsnachweise im<br />

Besonderen ging es stets auch um handfeste Interessenpolitik, bis zum heutigen Tage<br />

übrigens.<br />

Die Wiedereinführung des großen Befähigungsnachweises per Handwerksordnung von<br />

1953 im Zuge eines freien Entscheids eines frei gewählten Parlaments (Winkler 2002:<br />

178), 146 der 1961 vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Anfechtungsklage<br />

ausdrücklich gebilligt worden ist, steht im Kontext der damals herrschenden geistigen<br />

Strömungen. Das Berufsordnungsdenken fand in der Nachkriegszeit – weit über das<br />

Handwerk hinaus – großen Widerhall in großen Teilen der Bevölkerung, ganz besonders<br />

in mittelständischen Kreisen. 147 Interessant ist hier, wie es die intellektuellen Vordenker<br />

der sozialen Marktwirtschaft mit der Idee einer Regelung des Markteintritts<br />

über Berufsordnungen im Allgemeinen und mit der Handwerksordnung im Besonderen<br />

hielten. Einerseits lässt sich Marktzutrittsregelungen von der Art der Handwerksordnung<br />

aus ordoliberaler Sicht kaum Systemkonformität zur marktwirtschaftlichen Ordnung<br />

bescheinigen. Andererseits waren Theoretiker im intellektuellen Umfeld von Eucken,<br />

Röpke und Müller-Armack durchaus geneigt, dem Mittelstand eine tragende Rolle<br />

bei der Erneuerung der Marktwirtschaft zuzusprechen und von daher vielleicht willens,<br />

sich mit Einschränkungen der Gewerbefreiheit <strong>für</strong> wichtige Gruppen des Mittelstands<br />

anzufreunden.<br />

146 Hinweise auf einen sachlichen Ursprung des großen Befähigungsnachweises im „Dritten Reich“ sind<br />

vor diesem Hintergrund fehl am Platze. Schließlich war seiner Einführung ein mehr als 100 Jahre<br />

andauernder hartnäckiger Kampf einer breiten, aber auch sehr vielstimmigen Handwerkerbewegung<br />

vorausgegangen. Zwar gab es beachtliche Affinitäten zwischen dem berufsständischen Denken der<br />

Handwerkerbewegung und den ordnungspolitischen Vorstellungen der NS-Mittelstandsideologen<br />

(Georges 1993: 302; zu letzteren auch Müller 1939; Janssen 1998: 469-475). Dass die Er füllung der<br />

Forderung auf dem Wege einer Instrumentalisierung der „alten“ Hauptforderung der Handwerkerbewegung<br />

durch die NS-Regierung erfolgte, ist aber wohl eher als historischer Zufall zu werten. Die<br />

Hoffungen der Handwerkerbewegung wurden im Übrigen anschließend durch die Gleichschaltung<br />

der Interessenorganisationen des Handwerks und die spätere Auflösung ihrer Verbände schwer enttäuscht.<br />

147 Aus der Amerikanischen Besatzungszone wurde allerdings von einer großen Zustimmung der Bevölkerung<br />

zur Einführung der Gewerbefreiheit berichtet. 80 % der bei der Besatzungsbehörde eingehenden<br />

Briefe seien zustimmend gewesen (Boyer 1988: 464). Es mag sein, dass hier Propaganda der<br />

amerikanischen Militärbehörde im Spiel war. Demoskopische Befunde zur Bevölkerungsmeinung<br />

liegen jedenfalls nicht vor. Entscheidend <strong>für</strong> die Wiedereinführung des großen Befähigungsnachweises<br />

waren wohl weniger die in der Bevölkerung vorherrschenden Auffassungen als die Haltung des<br />

deutschen Nachkriegsestablishments und diese fiel, unabhängig von der politischen Couleur, zugunsten<br />

des großen Befähigungsnachweises aus.

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