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RWI - Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung

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Kapitel X: Modernisierung des Handwerksrechts 443<br />

ter des Einzelhandels, dort ebenfalls eine Berufsordnung nach Vorbild des Handwerks<br />

einzuführen, mit grundsätzlichen ordnungspolitischen Argumenten vehement ablehnte<br />

(Erhard 1957: 158). 151 Das zeigt zum einen, dass Ludwig Erhard kein ungebrochenes<br />

Verhältnis zu Befähigungsnachweisen hatte. Es ist zum anderen bemerkenswert, weil<br />

die Verbände des Handwerks und des Einzelhandels jahrelang gemeinsam in engem<br />

politischem Verbund <strong>für</strong> Berufsordnungen in ihren jeweiligen Bereichen gekämpft hatten.<br />

Der Ausflug in die Historie erscheint im Kontext der vorliegenden Analyse angebracht,<br />

weil er zeigt, was die politische Auseinandersetzung um die Handwerksordnung seit<br />

ihrer demokratischen Bestätigung vor allem bewegt hat: politische Kalküle, ältere populäre<br />

wirtschaftspolitische Auffassungen, die Stärke und Schwäche einzelner Interessengruppen,<br />

zufällige Konstellationen des politischen Prozesses – kaum dagegen ein am<br />

jeweiligen Stand der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung orientiertes ökonomisches<br />

Denken. Im Sinne der mikroökonomisch fundierten Theorie der Demokratie (z.B.<br />

Behrends 2001: 27ff.) ist davon auszugehen, dass politische Entscheidungsträger in Legislative<br />

wie Exekutive sich legitimer Weise in ihrem Tun nicht ausschließlich von an<br />

einem abstrakten „Allgemeinwohl“ orientierten Überlegungen leiten lassen, sondern<br />

sich auch von anderen Motiven inspirieren lassen wie z.B. dem Bestreben, die Wahlchancen<br />

der eigenen Partei zu verbessern oder ein gutes Medienecho zu erzielen. Demokratische<br />

Entscheidungsprozesse sollten mitin nicht mit einem wohlfahrtsökonomischen<br />

Optimierungskalkül verwechselt werden.<br />

Festzuhalten ist, dass die Bestätigung des großen Befähigungsnachweises im Jahre<br />

1953 in erster Linie ein politisch motivierter Akt war und weniger das Resultat ökonomischer<br />

Überlegungen. Die politisch Verantwortlichen auf der damaligen Regierungsseite,<br />

allen voran Bundeskanzler Adenauer, waren – nicht zuletzt mit Blick auf die Erinnerung<br />

an das Abdriften bürgerlicher Wählerschichten ins Lager der NSDAP in den<br />

frühen dreißiger Jahren – verständlicherweise an einer engen Einbindung der Handwerkerschaft<br />

ins parlamentarische System interessiert – und natürlich auch an den mit dem<br />

Handwerk assoziierten Wählerstimmen. Die große Oppositionspartei, die SPD, deren<br />

Zustimmung im Hinblick auf die Überwindung der alliierten Vorbehalte wichtig war<br />

(Perner 1983: 91), sah in der Wiedereinführung der Handwerksordnung die Chance einer<br />

sozialen Korrektur an einer aus ihrer damaligen Sicht allzu wirtschaftsliberal geratenen<br />

sozialen Marktwirtschaft. 152 Das 1953 besiegelte Arrangement der jungen deut-<br />

zu nehmender politischer Alltagsrhetorik entsprang, ist, wie stets in ähnlichen Fällen, <strong>für</strong> die Nachgeborenen<br />

schwer nachvollziehbar.<br />

151 Der entsprechende Beitrag ist allerdings nur in die erste Auflage von „Wohlstand <strong>für</strong> alle“ aufgenommen<br />

worden, in den späteren Auflagen findet er sich dagegen nicht wieder.<br />

152 Interessanterweise hatte auch die damals im Deutschen Bundestag vertretene KPD – wie alle anderen<br />

Parteien – <strong>für</strong> die Handwerksordnung gestimmt. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen,<br />

dass der große Befähigungsnachweis in der DDR bereits drei Jahre zuvor (1950) bestätigt worden<br />

war (Wernet 1952: 65). Allerdings brachte das „Gesetz zur Förderung des Handwerks vom 9. August<br />

1950“ bedeutende Einschränkungen der wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten der Hand-

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