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RWI - Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung

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Kapitel II: Die Identität des Handwerks 29<br />

3. Genese und Transformation des institutionell<br />

definierten Handwerks<br />

3.1. Das moderne Handwerk – vor allem ein Kind des Industriezeitalters<br />

Die deutsche Nationalökonomie hat dem „Handwerksproblem“ – d.h. der Verdrängung<br />

handwerklicher durch im Wettbewerb überlegene industrielle Produktion – in der zweiten<br />

Hälfte des 19. Jahrhunderts eine ähnliche Aufmerksamkeit geschenkt wie in den<br />

sechziger und siebziger Jahren dem Niedergang des Eisen-Stahl-Komplexes an Ruhr<br />

und Saar (Verein <strong>für</strong> Socialpolitik 1895-1897, Sombart 1902). In der Rückschau lässt<br />

sich feststellen, dass der massive Verdrängungsprozess vorindustrieller handwerklicher<br />

Produktion im Verarbeitenden Gewerbe seinerzeit durch die Nationalökonomen richtig<br />

beobachtet wurde. Übersehen haben die meisten von ihnen indessen eine zweite Entwicklungslinie<br />

des Handwerks, die <strong>für</strong> einen Ausgleich <strong>für</strong> die eingetretenen Ausfälle<br />

sorgte, ja diese sogar weit überkompensierte. Die Industriegesellschaft hat ihr eigenes<br />

Handwerk hervorgebracht, das ein fester Bestandteil der industriellen Produktions- und<br />

Vertriebssysteme ist und Dienstleistungen bereitstellt, die erst im Zuge des Industrialisierungsprozesses<br />

auf breiter Basis nachgefragt wurden. Schließlich ist eine dritte Entwicklungslinie<br />

des Handwerks festzustellen: die nahtlose Modernisierung der handwerklichen<br />

Produktion insbesondere in der Bauwirtschaft, die sich nur in begrenztem<br />

Maße durch industrielle Produktionsmethoden erschließen lässt.<br />

Industrialisierung lief in allen hoch entwickelten Volkswirtschaften darauf hinaus, dass<br />

in vielen Bereichen die handwerkliche Gütererstellung durch arbeitsteilige industrielle<br />

Produktion, die Werkstatt des Handwerksmeisters durch die Fabrik massiv verdrängt<br />

wurde. Zwar ersetzte die junge Industrie auf den meisten Feldern nicht einfach eine<br />

vorher vorhandene Handwerksproduktion, sondern entwickelte sich auf der Basis neuer<br />

Produkte, neu geweckter Bedürfnisse und neuer Märkte. Ein Großteil des produzierenden<br />

Handwerks geriet jedoch unter die Räder eines sich rasch beschleunigenden industriellen<br />

Modernisierungsprozesses. Zahlreiche Handwerksberufe – wie z.B. Feilenhauer,<br />

Drahtzieher, Papiermacher, Färber, Briefmaler, Kammmacher – verschwanden auf diese<br />

Art von der Bildfläche, nicht nur im Bereich traditioneller handwerklicher Güterproduktion,<br />

sondern auch im Dienstleistungsbereich, wie z.B. die Bader und Barbiere, deren<br />

Tätigkeitsfeld durch die heutigen Friseure nur zu einem kleinen Teil abgedeckt wird<br />

(Reith 1991; Palla 1994).<br />

Dieser Verdrängungsprozess handwerklicher durch industrielle Produktion setzt sich bis<br />

in die Gegenwart hinein fort. Herausragendes Beispiel ist der nicht endende Schrumpfungsprozess<br />

des Schneiderhandwerks. Im Zuge der Verbreitung der neuen Backtechnologien<br />

(vgl. Kapitel VI) könnten die Bäcker und Konditoren in den nächsten Jahrzehnten<br />

ein ähnliches Schicksal erleiden. Die weitaus meisten der in Anlage A aufgeführten<br />

Gewerke des produzierenden Handwerks sind heute – im Ergebnis eines 150jährigen<br />

Schrumpfungsprozesses – auf eine wirtschaftliche Nischenexistenz verwiesen. Das alte<br />

vorindustrielle Handwerk spielt in Deutschland wie in allen anderen Industriewirtschaf-

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