RWI - Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung

Kapitel IX: Europäischer Vergleich 433
gebnis erscheint mithin möglich. Vor diesem Hintergrund sind die auf den ersten Blick
erstaunlichen Ergebnisse einer Analyse der Kosten und Nutzen der Lehrlingsausbildung
aus der Sicht Schweizer Betriebe plausibel, die jüngst von der Forschungsstelle für Bildungsökonomie
der Universität Bern durchgeführt wurde. Die Studie erfolgte in Kooperation
mit dem deutschen BIBB und es wurde der gleiche methodische Ansatz verwendet
wie in der oben angesprochenen Studie (Schweri u.a. 2003: 49-73, Wolter, Schweri
2003: 2-3).
Danach betrugen im Jahr 2000 die Bruttokosten, d.h. die Summe aller von den Betrieben
zu tragenden Kostenbestandteile für die Ausbildung der Lehrlinge, im Jahr durchschnittlich
20 000 bis 30 000 CHF. Den Kosten standen Erträge in Höhe von 18 000 bis
36 000 CHF gegenüber. Aus der Differenz ergeben sich die durchschnittlichen Nettoerträge
(bzw. Nettokosten). Das vor dem Hintergrund der deutschen Berechnungen erstaunliche
Ergebnis: Die Summe der Nettoerträge war für zwei-, drei- und vierjährige
Lehren gleichermaßen positiv. Die meisten ausbildenden Betriebe profitieren also in der
Schweiz von der Lehrlingsausbildung, diese ist für sie ökonomisch attraktiv.
Zwei Drittel aller ausbildenden Betriebe erzielen bereits während der Lehre Nettoerträge
aus dem Einsatz der Lehrlinge – in Deutschland waren die entsprechenden Zahlen
viel niedriger. 140 Wie in Deutschland werden im höchsten Lehrjahr die größten Erträge
erwirtschaftet. Zwischen den Betrieben bestanden allerdings wie in Deutschland beträchtliche
Unterschiede. Kleinere Unternehmen profitieren stärker als die großen Unternehmen
von der Lehre. Kleinstunternehmen sind indessen weit unterdurchschnittlich
unter den ausbildenden Unternehmen vertreten. Der größere Abstand der Facharbeitergehälter
zu den Lehrlingsvergütungen in der Schweiz, die etwas stärkere Anwesenheit
der Lehrlinge im Ausbildungsbetrieb, die in einigen Berufen längere Lehrzeit sowie die
stärker klein- und mittelbetrieblich geprägte Struktur der Schweizer Wirtschaft können
einiges von dem hier angesprochenen Unterschied erklären (Schweri u.a. 2003: 82-
84). 141
Es bleibt aber ein erklärungsbedürftiger Restfaktor, der wohl nur über vergleichende
Untersuchungen der deutschen und der Schweizer Ergebnisse auf einer niedrigeren Aggregationsebene
aufgeklärt werden könnte. Auch die wohl recht ähnlichen Antworten
der Schweizer und der deutschen Betriebe auf eine Kontrollfrage nach dem Kosten-
Nutzen-Verhältnis der Ausbildung aus betrieblicher Sicht lassen auf weiteren Analysebedarf
schließen. Sowohl Schweizer als auch deutsche Ausbildungsbetriebe äußern mit
gleicher Tendenz hier eher Zufriedenheit. Dies wäre mit den in der Schweiz errechneten
140 Bei der Teilkostenrechung des BIBB fielen 1991 für 20 % der Auszubildenden insgesamt Nettoerträge
an (Bardeleben, Beicht, Fehér 1995: 106). 1995 erzielten 10 % der ausbildenden Betriebe nach
dem Vollkostenansatz Nettoerträge (Bardeleben, Beicht, Fehér 1997: 38). Nettoerträge wurden insbesondere
für Auszubildende im kaufmännischen Bereich gemessen.
141 Die hier angegeben Informationen basieren nicht nur auf der schriftlichen Quelle (Schweri u.a.
2003), sondern auch auf Telefongesprächen mit Autoren der Schweizer Studie und der BIBB-
Untersuchungen.