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Mathematik für Physiker - Numerische Physik: Modellierung

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122 KAPITEL 4. DIFFERENTIALRECHNUNG<br />

4.1 Motivation<br />

§ 474 In der Schulmathematik wird Differentiation häufig als Hilfsmittel bei der Kurvendiskussion<br />

verwendet. Die damit verbundenen Konzepte von Veränderungen und Extremwerten<br />

sind auch in der <strong>Physik</strong> wichtig – jedoch weniger in der direkten Anlehnung an einen Funktionsgraphen<br />

sondern in abstrakter Form. So ist die Momentangeschwindigkeit ⃗v definiert<br />

als die Änderung des Ortes ⃗r(t) mit der Zeit t: ⃗v = d⃗r/dt. Entsprechend ist die Beschleunigung<br />

⃗a(t) die Veränderung der Geschwindigkeit mit der Zeit oder ⃗a = d⃗v/dt. In diesen<br />

Beispielen ist der Begriff ‘abgeleitete Größe’ (bzw. abgeleitete Einheit) daher sogar wörtlich<br />

zu verstehen.<br />

§ 475 Die Differentiation ist also ein Hilfsmittel zur Beschreibung von Veränderungen. In vielen<br />

physikalischen Problemen interessiert die Veränderung einer physikalischen Größe mit der<br />

Zeit. Beispiele sind die allmählich etwas überstrapazierte Änderung des Ortes mit der Bewegung<br />

aber auch die Änderung der Zahl der Kerne in einer zerfallenden radioaktiven Substanz<br />

oder die Änderung der Temperatur eines Wasserbades bei Abkühlung/Erwärmung. Auch in<br />

diesen Fällen werden wir die Änderung der abhängigen Variablen V (t) in Abhängigkeit von<br />

der Änderung der unabhängigen Variablen t betrachten, z.B. um daraus Prognosen für den<br />

zukünftigen Zustand des Systems abzuleiten. Mathematisch interessiert uns dabei mit dem<br />

Ausdruck ∆V/∆t die Sekantensteigung.<br />

§ 476 Die mathematische Bedeutung der Differentiation fasst diese anschaulichen Gesichtspunkte<br />

formaler: um ein Maß für die Veränderung einer Funktion von einem Wert der unabhängigen<br />

Variablen zu einem anderen zu erhalten, müssen wir zwischen diesen beiden<br />

Werten differenzieren. Die mathematische Idealisierung (im Gegensatz zur harten physikalischen<br />

Realität) kann die Differenz der Argumente der Funktion gegen Null gehen lassen und<br />

auf diese Weise das Differential und damit die Ableitung einführen: V ′ (t) = lim ∆V/∆t.<br />

§ 477 Funktionen beschreiben jedoch nicht nur zeitliche Abhängigkeiten. Betrachten wir<br />

als Funktion nochmals das aufsteigende Tal aus § 448. Diese Funktion zweier Variablen<br />

kann als ein Höhenrelief interpretiert werden. Wie rollt eigentlich eine Kugel in diesem Tal?<br />

Anschaulich klar: sie wird irgendwie die Wand des Tals runter in Richtung auf den Talboden<br />

rollen und gleichzeitig, da er geneigt ist, entlang des Talboden aus dem Tal raus. Aber<br />

welchen Weg genau nimmt die Kugel? Was wird ihre Falllinie sein? Auch dafür müssen<br />

wir die Änderung des Reliefs, d.h. die Steigung, kennen. Die Falllinie der Kugel wird in<br />

Richtung des maximalen Gefälles erfolgen – oder entgegen gesetzt zur maximalen Steigung.<br />

Die Steigung einer Funktion wird durch ihre Ableitung gegeben. Bei einer Funktion mehrerer<br />

Variablen wie dem ansteigenden Tal können wir die partiellen Ableitungen nach jeder der<br />

einzelnen Variablen bilden, d.h. die Steigungen in die einzelnen Koordinatenrichtungen. Diese<br />

Steigungen können kombiniert werden zu einem Gradienten, der die Richtung der maximalen<br />

Steigung angibt. Die Falllinie ist dem Gradienten genau entgegen gesetzt.<br />

§ 478 Die Falllinie ist eine sehr anschauliche Beschreibung für die Anwendung des Gradienten.<br />

In unserem Tal könnten wir jetzt an jeder Stelle einen kleinen Pfeil anbringen dessen<br />

Richtung entlang des Gradienten ist und dessen Länge proportional zum Betrag des Gradienten<br />

ist. Unser Tal ist dann mit einem Feld derartiger Vektoren gepflastert. Dieses Vektorfeld<br />

gibt für jeden Punkt des Tals den Gradienten, d.h. die Information über Betrag und Richtung<br />

der maximalen Steigung.<br />

§ 479 Das Konzept des Gradienten lässt sich von dieser anschaulichen auch auf abstraktere<br />

Situationen erweitern. Das Gravitationsfeld gibt für jeden Punkt des Raumes Betrag<br />

und Richtung der dort auf einen Testkörper wirkenden Gravitationskraft. Also ist es ein<br />

Vektorfeld und es lässt sich als der Gradient eines skalaren Feldes, des Gravitationspotentials,<br />

darstellen. Entsprechend lässt sich das elektrische Feld als Gradient eines elektrischen<br />

Potentials darstellen.<br />

13. März 2007 c○ M.-B. Kallenrode

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