11.12.2012 Aufrufe

Koordination und Qualität im Gesundheitswesen

Koordination und Qualität im Gesundheitswesen

Koordination und Qualität im Gesundheitswesen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

diskutiert (‚Kompressionsthese'; Fries, J.F. 1980). Der Inhalt der Hypothese besteht vor<br />

allem darin, dass sich die Phase der Morbidität <strong>im</strong> Lebenslauf bei einer Steigerung der<br />

Lebenserwartung nicht in gleichem Maße verlängern muss wie die Lebensspanne. Eine<br />

Kompression der Morbidität liegt vor, wenn die für ein höheres Lebensalter typische<br />

Belastung durch chronische Krankheiten bzw. Behinderungen schneller zurückgeht als<br />

die Mortalität, wenn also das Auftreten vor allem chronisch-degenerativer Erkrankungen<br />

<strong>im</strong> Bevölkerungsdurchschnitt zeitlich stärker aufgeschoben wird als die Lebenserwartung<br />

steigt (vgl. Fries, J.F. 2003).<br />

Exkurs: Absolute <strong>und</strong> relative Kompressionsthese<br />

155. Bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten gibt es insbesondere <strong>im</strong> angelsächsischen Sprachraum<br />

einen Diskurs bezüglich des Zusammenhangs zwischen Mortalität <strong>und</strong> Morbidität. Dieser<br />

konzentriert sich hauptsächlich auf die Frage, wie Lebenserwartungssteigerungen zustande<br />

kommen bzw. in welchem Ges<strong>und</strong>heitszustand die Menschen bzw. Patienten gewonnene Lebensjahre<br />

verbringen. Seit geraumer Zeit erfreut sich diese Diskussion auch in Deutschland<br />

einer gewissen Popularität, wobei das Augenmerk hier allerdings weniger auf der Morbidität<br />

bzw. dem Ges<strong>und</strong>heitszustand liegt, sondern mehr auf den individuellen Ges<strong>und</strong>heitsausgaben.<br />

Diese lassen sich in gewisser Weise als ökonomischer Morbiditätsindikator interpretieren. 37 Die<br />

beiden Pole in der skizzierten Diskussion bilden auf der einen Seite die so genannte Morbiditätskompressionsthese<br />

mit ihrem Begründer Fries (1980), während auf der anderen Seite die<br />

Morbiditätsexpansionsthese steht, die auf Gruenberg (1977) zurückgeht <strong>und</strong> die <strong>im</strong> deutschen<br />

Sprachraum – vorwiegend unter der Bezeichnung Medikalisierungsthese – insbesondere Krämer<br />

(1992, 1997) vertritt.<br />

156. Nach der absoluten Kompressionsthese n<strong>im</strong>mt die (chronische) Morbidität, d. h. die Zeitspanne<br />

zwischen dem Alter be<strong>im</strong> erstmaligen Ausbruch chronisch-irreversibler Morbidität <strong>und</strong><br />

dem späteren Sterbezeitpunkt, <strong>im</strong> Zuge von Lebenserwartungssteigerungen absolut ab. Diese<br />

absolute Kompression liegt darin begründet, dass sich das Alter be<strong>im</strong> Ausbruch chronischer<br />

Morbidität (absolut) mehr hinauszögert als der spätere Todeszeitpunkt (vgl. Fries, J.F. 1980).<br />

Diese zeitliche Verschiebung des Ausbruchs der Krankheit geht u. a. auf Ges<strong>und</strong>heitsförderung<br />

<strong>und</strong> Pr<strong>im</strong>ärprävention, aber auch auf zahlreiche Faktoren zurück, die wie das Bildungswesen<br />

oder die ökologische Umwelt außerhalb des Ges<strong>und</strong>heitswesens wurzeln. Eine schwächere Version<br />

(relative Kompressionsthese) postuliert dagegen nur, dass der Anteil des Lebens, der <strong>im</strong><br />

Zustand chronisch-irreversibler Morbidität verbracht wird, durch den skizzierten Mechanismus<br />

<strong>im</strong> Zuge einer Zunahme der Lebenserwartung sinkt (vgl. Fries, J.F. 1983). Die relative Morbiditätskompression<br />

stellt eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die absolute<br />

Kompression dar.<br />

157. Entsprechend der Morbiditätsexpansions- bzw. Medikalisierungsthese kommen Steigerungen<br />

der Lebenserwartung dagegen durch einen anderen Mechanismus zustande: Die Medizin<br />

konzentriert sich demnach in ihrem Selbstverständnis gr<strong>und</strong>sätzlich auf die Kuration bzw. (<strong>im</strong><br />

Fall von chronischen Krankheiten) auf die Linderung bereits existierender Gebrechen, insbesondere<br />

mit dem Ziel einer Lebensverlängerung des Betroffenen. Demnach gelang es aufgr<strong>und</strong><br />

37 In diesem Kontext gilt dies zumindest tendenziell. In speziellen Fällen kann eine sehr hohe Morbidität<br />

auch mit vergleichsweise moderaten Ausgaben einhergehen. Ein solcher Fall liegt z. B. vor,<br />

wenn ein terminal Schwerstkranker nur noch eine palliative Ges<strong>und</strong>heitsversorgung erhält.<br />

183

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!