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Kapitel 3: Die Lebensreformbewegung
Wenn man heute an die Lebensreformbewegung erinnert wir, denkt man unwillkürlich an die
Freikörperkultur, den Vegetarismus, die Naturheilkunde, eventuell noch an den Monte Verità
und einige esoterische und skurrile Vereinigungen um die Wende zum 20. Jahrhundert. Kaum
jemand denkt daran, dass alle unsere alternativen Bewegungen, die Friedensbewegung, unsere
Sportvereine, die Frauenemanzipation, unsere Mode, unsere alltäglichen Lebensbezüge und
viele andere Orientierungen und Gruppierungen, unabhängig von ihren geschichtlichen
Vorläufern, hier ihre entscheidenden Anregungen erhalten haben. Niemand von uns wäre
heute so wie er ist, wenn es die Lebensreformbewegung nicht gegeben hätte. In der
Gartenkunst schuf sie den dritten Gestaltungsstil - den individuellen, am einzelnen Menschen
orientierten Garten.
Vielleicht ist es kein Zufall, dass wir über die Lebensreformbewegung heute so wenig wissen,
denn dann würden wir besser verstehen, weshalb so viele Eltern den Nationalsozialismus
bejahten. Sie sahen ihn nicht in seiner Ganzheit, sondern nur aus einem Blickwinkel, in dem
sie Gedanken dieser Bewegung wiederfanden. Es ist deshalb auch kein Zufall, dass so viele
Gartengestalter dem Nationalsozialismus nahe gestanden haben. Sie fanden dort viele
Gedanken ihrer Jugendzeit wieder und haben zunächst nur diese gesehen. Es ist deshalb auch
kein Zufall, dass wir heute diese Bewegung ins Egozentrisch-Skurrile abdrängen, was sie nur
in ihren Auswüchsen war. Ihre Gedanken beherrschen heute, ohne dass wir diese noch
hinterfragen, unser ganzes Leben.
Nietzsche baute auf Schopenhauer
Schopenhauer hatte das „Leben“ als zentrale Befindlichkeit für das individuelle Bewusstsein
entdeckt. Der einzelne Mensch erfährt es bei ihm im Widerstreit der Gefühle, die alle auf eine
Bedürfnisbefriedigung drängen. Erst in der Verneinung des „Willens zum Leben“ findet er
seine Erlösung. Dialektisch gesehen hat jedoch der „Wille zum Leben“ im Festhalten für ihn
die größte Bedeutung. Darüber erfährt er seine Ausdrucksmöglichkeiten und die
Möglichkeiten sich zu verwirklichen.
Nietzsche stand am Anfang der Lebensreformbewegung, indem er das „Leben“ selber in den
Mittelpunkt seiner philosophischen Betrachtungen stellte. Als neuer Kampfbegriff richtete
sich dieser einerseits gegen die Enge der damaligen bürgerlichen Moralvorstellungen
(gewachsen aus dem deutschen Idealismus) und zum anderen gegen die negativen Folgen der
beginnenden Industrialisierung mit ihren sozialen Umschichtungen und deren rationalen und
materialistischen Hintergründen. Im Begriff „Leben“ vereinigte man alle positiven Inhalte
hinsichtlich des Körperlichen, Seelischen und Schöpferischen. Er wurde zur Zentralforderung
fast aller bedeutsamer Bewegungen der damaligen Zeit, besonders die der Jugendbewegung
und der Reformpädagogik.
Aus Schopenhauers Wille und Vorstellung werden bei Nietzsche das Dionysische und das
Apollinische. Allerdings wendet letzterer dessen verneinende Gedanken zum „Leben“ zu
einem aktiven „Willen zur Macht“, in dessen Zentrum der neue Mensch steht, der den Anfang
einer großen Zukunft bildet. Die gesamte Kultur ist deshalb aus dem Blickfeld des „Starken“
zu sehen (später der Ansatz rassistischer Gedanken). Nach Nietzsche findet der einzelne
seinen höchsten Lebensausdruck in seiner künstlerischen Individualität, verwirklicht er sein
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