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entgegen, als sie einen Weg für den Triebverzicht über eine verfeinerte Umorientierung<br />

erlaubte (z.B. einer anderweitigen Leistung). Auf dem Monte Verita (= Berg der Wahrheit;<br />

den Überlieferungen nach der Berg, auf dem Wahrheiten verkündet werden: z.B. Olymp,<br />

Sinai) bei Ascona wurde sie zur Grundlage eines neuen Existenzbewusstseins, verbunden mit<br />

einem engen Naturbezug, einer einfachen Lebensform und sexueller Freizügigkeit. Große<br />

Teile der europäischen intellektuellen Elite trafen sich hier und verbreiteten die dort<br />

erfahrenen „Erkenntnisse“. Die Lebensreformer sahen in der Psychoanalyse ein Instrument<br />

zur Veränderung der bestehenden (negativen) Verhältnisse. Die Selbsterkenntnis wurde<br />

umgeleitet in ein Ausleben der Triebwelt. Dem alten Freudschen Ansatz des Beherrschens<br />

seines Leidens wurde hier idealistisch die Erstrebung des persönlichen Glücks<br />

entgegengestellt.<br />

Die geistigen Entwürfe der Lebensreformer waren Antworten auf die Folgen der<br />

Industrialisierung und Urbanisierung in ihrer Zeit - Utopien, die den Sehnsüchten der<br />

verschiedenen Menschen folgten. Damit bewegten sie sich zwischen konservativen und<br />

emanzipatorischen Ansätzen. Ihnen gemeinsam war, dass die Erneuerungsversuche der Welt<br />

vom Körper des einzelnen ausgingen (nicht im Sinne des Bürgerlich-Privaten sondern dem<br />

des öffentlichen Interesses). Man leitete seine Vorstellungen von der „Natur“, bzw. den<br />

„Naturgesetzen“ ab und übertrug sie durch „Selbstzucht“ auf den eigenen Körper. Aus dieser<br />

Leistung heraus verstand man sich als eine kulturelle Elite. Als Lohn versprach man sich eine<br />

bessere Gesundheit, höhere Lebenserwartung und damit eine bessere Lebensqualität. Oft<br />

nahmen Teile der Bewegung den Charakter einer quasireligiösen Bewegung an. Damit besaß<br />

die Lebensreform neben einem lebenspraktischen Aspekt auch einen weltanschaulichen.<br />

Um 1900 glaubten viele Menschen, dass<br />

- die damalige Philosophie kein brauchbares Orientierungswissen und<br />

- die Religion keine zeitgemäßen Sinnsetzungen<br />

mehr geben könnten und suchten nach einer neuen Gesamtsicht für die Welt, d.h. einer<br />

praktisch-lebbaren Weltanschauung. Die beiden Leitbegriffe waren „das Leben“ und „die<br />

Kultur“ und wurden als solche ständig hinterfragt. Sie erlaubten subjektiv wie auch objektiv<br />

lebbare Orientierungen, d.h. Perspektiven der „Daseinsbewältigung“. Der „Deutsche<br />

Werkbund“ lieferte eine solche Perspektive für das Handwerk und wollte damit zugleich die<br />

„Gute Form“ in die Stuben der Bevölkerung bringen. Fritz Schumacher sprach bei dessen<br />

Gründung (1907) von der „Wiedereroberung einer harmonischen Kultur“.<br />

Die Lebensreform war eine von der Lebensphilosophie beeinflusste Weltanschauung, die über<br />

bestimmte, auf den einzelnen Menschen bezogene praktische Handlungsanweisungen ihn und<br />

die ganze Gesellschaft verändern wollte. Ihr Maßstab war die „Natürlichkeit“, d.h. das der<br />

Natur gemäße. Damit stellte sie sich gegen alles, was die Natur zerstörte und das waren in<br />

ihren Augen die Industrie (der Kapitalismus), die Stadt und deren Zwang zur sozialen<br />

Disziplinierung. Aus diesem stimmungsmäßigen Urbrei ging dann die Vielzahl der<br />

Reformbewegungen hervor, die in der Regel bei der „Veredlung“ des Individuums ansetzten<br />

(auch weil der wilhelminische Staat ihnen keine andere Möglichkeit erlaubte).<br />

In der Jugendbewegung versuchte man wieder Ästhetik und Moral zu vereinen. Die<br />

Naturerfahrung, ein neues Körperbewusstsein und die Wandererlebnisse waren dafür der<br />

Hintergrund. Das Leben sollte von einer von falschen Gefühlen befreiten Kunst bestimmt<br />

werden. Ihre berühmte Meißnerformel lautete:<br />

„In eigener Bestimmung,<br />

vor eigener Verantwortung,<br />

aus innerer Wahrhaftigkeit .....“.<br />

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