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BEWUßTSEINS- UND ORGANISATIONSENTWICKLUNG

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damit mit mehr oder weniger subtiler Gewalt geklärt wird – Lüge und<br />

Wahrheit werden dann bis zur Unkenntlichkeit vermischt 1524 .<br />

Eine letzte Möglichkeit wurde noch nicht bedacht. Wenn alles Erkennen<br />

doch tatsächlich Vorstellung und Abstraktion von der Wirklichkeit ist und<br />

die Vorstellung, es existiere Materie, eine Vorstellung ist, dann ist nicht nur<br />

dieses Denkexperiment nicht zu lösen, sondern jede Logik sachlich überflüssig,<br />

weil zwischen wahr und falsch keine Unterschiede bestehen, die<br />

nicht willkürlich und zufällig wären. Letztlich entsteht so die (nicht zu prüfende)<br />

Möglichkeit, daß eine rein materielle Wirklichkeit vorgetäuscht ist<br />

und realiter rein geistig ist. Und damit hebt sich die rein materielle Welt<br />

wiederum selbst auf.<br />

Eine rein materielle Welt ist logisch instabil. Sie hebt sich entweder ins<br />

Nichts 1525 , in einen unendlichen Regreß oder aber in eine rein geistige<br />

1524 An diesem Punkt wird notwendigerweise die Strukturgleichheit der Erkenntniswissenschaft des<br />

Materialismus mit der Ethik des Materialismus deutlich. In der Ausschließlichkeit des<br />

Quantitativen löst sich jede Qualität und jeder Wert in illusorischer Beliebigkeit auf. Die<br />

katastrophalen Folgen einer solchen Denkhaltung verdeutlicht Glasl am Beispiel des<br />

Konstruktivismus. Dieser ist die zu den Neurowissenschaften gehörige Erkenntnisphilosophie:<br />

»Auf den ersten Blick scheint also der Konstruktivismus demokratisch tolerant zu sein, weil er<br />

jeden absoluten Wahrheitsanspruch ablehnt und nur relative Wahrheiten zuläßt. – Karl Popper<br />

(1957 [eigene Anm.: «Die offene Gesellschaft und ihre Feinde»]) weist nun sehr treffend darauf<br />

hin, daß dies — im Gegensatz zur erklärten Absicht — erst totalitäres Verhalten begründet. Denn<br />

wenn es keinen Sinn hat, eine Aussage in einem öffentlichen Such- und Diskussionsprozeß auf<br />

ihre Annäherung an die Wahrheit zu überprüfen, entscheidet in der Gesellschaft nur noch eines:<br />

Man muß die Macht und die Gewalt haben, die eigene Auffassung durchzusetzen! Eine<br />

Legitimierung und Widerlegung ist im Grunde ein sinnloses Unterfangen. Diese relativierende<br />

Toleranz leistet der nackten Gewalt Vorschub.« (Glasl 1994, S. 76)<br />

Karl Poppers Haltung selbst wiederum ist widersprüchlich und legt selbst in seinen<br />

wissenschaftlichen Grundüberzeugungen Gewalt provozierende Fallstricke aus. (In dem, was in<br />

seinen Schriften an Persönlichem durchscheint, habe ich immer den Eindruck gewonnen, daß<br />

Popper friedfertig ist.) Popper argumentiert selbst konstruktivistisch. Er versteht unter einer<br />

wissenschaftlichen Erkenntnistheorie eine logisch-normative Methodenlehre. »Diese interessiert<br />

sich nicht für Tatsachenfragen (Kant: »quid facti«), sondern nur für Geltungsfragen (»quid juris«);<br />

vgl. Popper 1994, S. XV ff. Das bedeutet nichts weniger, als daß die wissenschaftliche Basis<br />

einer sich „fakten“verliebt gebenden Wissenschaft sich nicht für Tatsachen interessiert, sondern<br />

für Normen – die immer derjenige setzt, der die Macht hat, sie zu setzen. Daraus folgt ein<br />

Objektivitätsbegriff, mit dem ich zugegebenermaßen wenig anfangen kann und der mir beim<br />

ersten Lesen ein verblüfftes Lachen entlockte.<br />

»Nur objektive Erkenntnis ist kritisierbar; subjektive wird es erst, wenn sie sich objektiviert, und<br />

das tut sie, wenn wir sie aussprechen oder drucken!« (Popper, 1973, S. 37)<br />

Wenn das so ist, sind sämtliche gedruckten und gesprochenen Reden von Politikern objektiv –<br />

ungeklärt ist dann jedoch die Frage, was eine objektive Lüge und was eine objektive Wahrheit ist.<br />

Zurück zur systematischen Betrachtung. Die Frage, wie eine Erkenntnis kommuniziert wird, ist<br />

im Gegensatz zur Auffassung Poppers nebensächlich. Aussprechen oder Drucken von<br />

Erkenntnissen erleichtert deren intersubjektive Überprüfbarkeit im Sinne Poppers. Dieses hat<br />

jedoch nichts mit dem Grad der Objektivität einer spezifischen Erkenntnis zu tun. Diese wird<br />

„nur“ jeweils durch allgemeinverständliche Kommunikation einem hoffentlich mindestens ebenso<br />

wahrnehmungsfähigen wie deutungsfähigen Publikum zugänglich gemacht.<br />

Für mich ist der Objektivitätsbegriff mit der Suche nach Wahrheit und dem Versuch einer<br />

Annäherung an dieselbe verbunden. Es geht also um die Tatsachenfragen, um die es Popper nicht<br />

geht. Indem sich Popper auf formale und normative Äußerlichkeiten zurückzieht, ist seine<br />

Erkenntnistheorie symptomatisch für den Teil der abendländischen Kultur, der sich einseitig<br />

wissenschaftlich-technisch definiert und zunehmend im Formal-Abstrakten auf der Basis von<br />

Macht verhärtet.

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