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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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Einige Meilen weiter südöstlich schlich zur selben Zeit ein einsamer<br />

Jäger durch den düsteren Kreuzgang eines Klosters. Es war<br />

die tote Zeit der Nacht, die Schläge der Turmuhr, die Mitternacht<br />

verkündeten, bereits verklungen, und das vorwitzige Opfer, das<br />

seine Nase hinterder Mittelsäule eines Spitzbogens hervor steckte,<br />

war, wie ihm seine messerscharfen Augen, sein feines Gehör und<br />

sein unnachahmliches Gespür für Gefahr verrieten, außer seiner<br />

Wenigkeit die einzige wache Seele im gesamten Revier.<br />

Der Jäger war eine Sie. Keine ganz junge Sie mehr, in den besten<br />

Jahren, wenn man so wollte, die Glieder noch gelenkig, die Sehnen<br />

geschmeidig, der gesamte Körper ein Paket aus kraftvollen,<br />

energiegeladenen Muskeln, jedoch gepaart mit der Erfahrung und<br />

Schläue, die ein Leben auf der Jagd mit sich bringt. Niemand, dem<br />

eine Beute leicht entgeht, und das ahnungslose Geschöpf, das jetzt<br />

seinen Beobachtungsposten auf der Mauer <strong>des</strong> Kreuzgangs verlassen<br />

hatte und in hastigen, trippelnden Schritten aufdas Wasserbecken<br />

im Zentrum <strong>des</strong> Innenhofs zuhuschte, war bereits jetzt so tot<br />

wie die Gebeine der verblichenen Äbte unter den Grabplatten im<br />

Kreuzgang.<br />

Sie rückte näher. Es war nicht der erste Erfolg in dieser Nacht<br />

– künftiger Erfolg, zugegeben, aber man konnte ihn bereits mitrechnen.<br />

Bisdrei konnte sie zählen, und es waren deutlich mehr als<br />

drei gewesen. Ein gutes Revier, besser als ihr altes, wo man nächtelang<br />

ohne vernünftiges Ergebnis aufder Lauer liegen konnte. Sie<br />

hatte es von einem entfernten, etwas minderbemittelten Vetter<br />

übernommen, <strong>des</strong>sen endlose Reaktionszeit ihm ein frühes Ende<br />

unter den Hufen eines rasenden Pfer<strong>des</strong> beschert hatte. Gelegentlich<br />

gedachte sie seiner in stiller Dankbarkeit.<br />

Näher. Schwerelos, lautlos glitt ihr Körper über die kühlen<br />

Steinplatten, völlig verschwindend in der Dunkelheit, die über dem<br />

Innenhof lastete. Das Opfer saß jetzt neben dem Wasserbecken,<br />

blanke Augen suchend in die Nacht gerichtet, die Gefahr vielleicht<br />

spürend, aber unfähig, sie zu orten. Es waren nur noch zwei, drei<br />

sachte Schritte, und sie war in Angriffsreichweite, bereit vorzuspringen,<br />

das Opfer mit zwei schnellen Sprüngen zu erreichen und<br />

zuzupacken. Zwei, drei sachte Schritte.<br />

Sie hielt inne.<br />

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