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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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ne hinter den Giebeln der umstehenden Häuser versank und die<br />

Dunkelheit in den Raum kroch.<br />

<strong>Die</strong> Dunkelheit kroch in den Raum, das war der richtige Ausdruck.<br />

Nie zuvor hatte Cristino das Dunkel als etwas Körperliches<br />

empfunden. Das Licht war in ihrem Denken stets das Substantielle,<br />

das Aktive gewesen. Das Licht drang in einen Raum ein,fieldurch<br />

ein Fenster, stahl sich durch eine Ritze, breitete sich auf der Wand<br />

aus. <strong>Die</strong> Dunkelheit war nur die Abwesenheit <strong>des</strong> Lichts, eine Art<br />

Leere, die das vordringende Licht anfüllte. Aber heute war es anders.<br />

Heute war es die Dunkelheit, die hereinkam, unter der Türschwelle<br />

hindurchsickerte, durch das Fenster in die Schankstube<br />

strömte, wo sie sich in einer Pfütze auf dem Fußboden sammelte<br />

und in die Ecken und Winkel waberte, die sie in Kürze verschluckt<br />

hatte. Jemand stand auf und schloss die Fensterläden, eine Handlung,die<br />

ihr logischer erschien als je zuvor,der ebenso verzweifelte<br />

wie unrealistische Versuch, die Dunkelheit auszusperren. Der<br />

Wirt stellte Kerzen auf den Tisch und entzündete sie, und wieder<br />

war es nicht so, dass das Licht sich ausbreitete, in die Dunkelheit<br />

vordrang; vielmehr schien es, als würde die schwache Lichtglocke,<br />

diedie Kerzen umden Tischlegten, von der Schwärze<strong>des</strong> Raumes<br />

attackiert, als versuche sie verzweifelt, sich dagegen zu wehren,<br />

völlig von der Dunkelheit verschluckt zu werden.<br />

Cristino schloss die Augen. Sie war übermüdet und überreizt, das<br />

war der Grund. Man reist ja auch nicht jeden Tag von Castelblanc<br />

nach Lourmarin. Und vor allem wird man nicht jeden Tag von Räubern<br />

entführt, kein Wunder, dass sie allmählich etwas überspannt<br />

reagierte. Trotzdem. Da war etwas, ein Gefühl, das sie an diesem<br />

Tag schon einmal gehabt hatte und das jetzt einem Echo gleich aus<br />

den Tiefen ihrer Seele wieder emporstieg. Das Gefühl <strong>des</strong> frühen<br />

Morgens, als sie um Arman de Mauvent getrauert hatte, als sie<br />

in einen Bach gestarrt und über Selbstmord nachgegrübelt hatte.<br />

Nun, es war ja auch zu erwarten gewesen,dass der Gedanke an ihre<br />

verlorene Liebe sich wieder zu Wort meldete, dachte sie, und seltsamerweise<br />

beruhigte sie diese Überlegung. Als ob Enttäuschung,<br />

Herzschmerzen, ja sogar To<strong>des</strong>sehnsucht aus Liebeskummer eine<br />

angenehme, harmlose Erklärung für die Unruhe seien, die sich in<br />

ihrem Innern ausbreitete.<br />

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