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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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Noch immer kein Bruder Antonius in Sicht. Cristino griff nach<br />

dem Buch, wuchtete es aus dem Regal und legte es auf den Tisch.<br />

Ein Einband aus dunklem Leder. Sie schlug die erste Seite auf,<br />

sah auf den Namen unter dem Exlibris. Petrus Martinus Avingus,<br />

Aquae Sextiis. Das Buch hatte Onkel Pierre gehört. Klar, er war<br />

Docteur gewesen, er hatte sicher viele Bücher gehabt. Und nachdem<br />

seine Eltern kurz nach ihm starben und seine einzige Schwester<br />

nach Rom ging, war es naheliegend, dass Oma Felicitas sich<br />

seiner Bücher angenommen hatte. Sie blätterte weiter.<br />

DE HUMANI CORPORIS FABRICA. Das Buch zeigte Menschen,<br />

doch keine Menschen, wie man gewohnt war, sie zu sehen.<br />

Menschen, auf Stühlen sitzend oder in einer stilisierten Landschaft<br />

stehend, den Blick nachdenklich in die Ferne oder a uf den Boden<br />

unter ihren Füßen gerichtet. Menschen, statt von einer Haut von<br />

eigentümlichen längsgestreiften Wülsten umgegeben, die zum Teil<br />

abgetrennt waren und lose von ihren erhobenen Armen herunterbaumelten.<br />

Menschen, die von einem eigentümlichen Netz aus<br />

roten Fäden überzogen waren wie ein Blatt von seinen Äderchen.<br />

Menschen, die aus Glas zu sein schienen, durch deren Bauchdecke<br />

man hineinblickte in ein eigenartiges Gewirr seltsam geformter Objekte.<br />

Schautafeln, auf denen eigentümliche Gegenstände abgebildet<br />

waren, Hepar – Leber war eines dieser Gebilde beschriftet, <strong>des</strong>sen<br />

Ähnlichkeit mit einer Schweineleber erschreckend war, Gaster<br />

– Magen war ein weiteres, schlauchförmiges Ding ausgezeichnet.<br />

Cristino hielt inne.<br />

Sie starrte auf einen rundlichen, spitz zulaufenden Gegenstand,<br />

gebettet in seltsame lappenartige Gebilde, die ihn schützend zu<br />

umgeben schienen. Cor. Das menschliche Herz.<br />

Cristino hatte schon Rinderherzen gesehen, war aber immer der<br />

festen Überzeugung gewesen, dass ein menschliches Herz mitnichten<br />

<strong>des</strong>sen plumpe Form hatte, ein Herz wie auf den Mariendarstellungen<br />

oder auf den Illustrationen von Liebesgedichten hatte<br />

ihr vorgeschwebt, hellrot gefärbt, ebenmäßig geformt, ein Herz,<br />

dem man es ansah, dass es Hort der Empfindsamkeit, der Gefühle<br />

war, Herz wie Herzblut, Herzschmerz, Herzklopfen. Doch dieses<br />

Herz, das auf einer Art über Magen und Leber aufgespanntem Baldachin<br />

lag, mochte vielleicht etwas schlanker als ein Rinderherz<br />

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