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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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Im Schlaf kam die Krähe.<br />

Da ist wieder das Bild, die Tote, blon<strong>des</strong> Haar auf weichem Waldboden,<br />

weiß das Gesicht, halb geöffnet die blauen Augen. Sie liegt<br />

dort, auf dem Boden, der grau durch den Nebel schimmert, und<br />

Cristino stellt verwundert fest, dass sie auf die Tote hinabschaut,<br />

was erstaunlich ist, schließlich ist sie selbst die Tote, es ist als habe<br />

die Seele den Körper verlassen und blicke nun hinab auf ihr ehemaliges<br />

Kleid.<br />

<strong>Die</strong> Krähe kommt. Sie schwebt herab, ihre Klauen sind ausgefahren,<br />

sie landet auf der Brust der Toten. Cristino erwartet eine<br />

Bewegung, ein Zucken der Lider, eine Reaktion <strong>des</strong> Körpers auf<br />

die Klauen, die sich in seine Haut graben, doch nein, still liegt der<br />

Körper, still blicken die blauen Augen in die Unendlichkeit der<br />

Dämmerung, und die Krähe nähert sich dem Kopf, pickt nach den<br />

Augen…<br />

Jemand kommt. Ein Pferd mit einem Reiter tritt hervor aus der<br />

Faust <strong>des</strong> Nebels und hält inne am Rande der Lichtung.<br />

Kraah, macht die Krähe.<br />

Der Reiter wendet seinen Kopf, sein Gesicht kehrt sich ihr zu. Er<br />

ist ein Mädchen, klein, schmal, leichenweiß, schwarze glatte Haare,<br />

die ihm offen über dieSchultern fallen.Seine Hand umschließtein<br />

Lederhandschuh.<br />

Kraah, macht die Krähe.<br />

Und die Hand <strong>des</strong> Mädchens zuckt vor, und da schießt die Krähe<br />

herbei, die Flügel ausgebreitet, die Füße gestreckt…<br />

Es ist keine Krähe. Es ist ein Falke. Er landet auf der Hand <strong>des</strong><br />

Mädchens, Cristino hört den Schlag seiner kraftvollen Flügel durch<br />

den Nebel, und das Mädchen blickt sie an. Schwarz sind seine Augen,<br />

schwarz wie der Himmel in einer mondlosen Nacht, schwarz<br />

wie Fenster in einen Abgrund so tief wie die Hölle.<br />

Cristino fuhr hoch. Licht schlug ihr entgegen, eine ganze Woge<br />

von Licht, Sonnenstrahlen, die durch das wankende Fenster ins Innere<br />

<strong>des</strong> Wagens fielen. Ein Schwanken und ein Rattern, ihr gegenüber<br />

das Gesicht ihrer Mutter, halb verborgen hinter dem Pfauenmusterfächer,<br />

der ihr aufs Kinn gesunken war. Ihr Gesicht war<br />

entspannt, der Kopf nickte mit jeder Erschütterung <strong>des</strong> Fahrzeugs,<br />

sie schlief.<br />

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