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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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no, doch niemand würdigte das halbtote Gerippe, das ich war, auch<br />

nur eines Blickes. Schließlich legte ich mich auf die Schwelle <strong>des</strong><br />

Augustiner-Konvents, um dort zu sterben. Und so haben mich die<br />

Mönche gefunden. Und jetzt sag bitte noch einmal, ich hätte keine<br />

Ahnung vom wirklichen Leben!»<br />

Cristino heulte. Sie riss sich losund stürzteaus dem Raum.<br />

Antonius sank auf die Bettkante. Er zitterte wie in ein er eisi gen<br />

Winternacht. Fast eine Minute saß er so da, rieb seine Arme und<br />

klapperte mit den Zähnen, bis er begriff, dass Fabiou am Türrahmen<br />

lehnte und ihn stumm anstarrte. Er hob den Kopf, sah Fabiou<br />

aus weiten, zuckenden Augen an und starrte wieder auf seine<br />

Knie.<br />

«Josephus Latinus», sagte Fabiou.<br />

Antonius hob wieder den Blick. Er schwieg.<br />

Fabiou ging zum Fenster hinüber. Draußen flatterten Tauben<br />

auf und stiegen empor in das makellose Blau <strong>des</strong> Himmels. Ein<br />

märchenhafter Tag, wie gesagt. «Josephus Latinus – Jousé der Lateiner»,<br />

wiederholte er. «Das war ein Name in den Annalen von<br />

Galaud. Beim Prozess gegen die Antonius-Jünger. Ein kleiner Junge,<br />

<strong>des</strong>sen hervorstechendste Eigenschaft war, dass er Lateinisch<br />

sprach. Wahrscheinlich war er es, der Joan lou Pastre beibrach te,<br />

wie man Santonou schreibt. Er war noch zu jung für den Galgen.<br />

Also wurde er in Ate eingekerkert.»<br />

Bruder Antonius starrte ins Leere. «Ich habe es von einem<br />

Mönch in Sant Roumié gelernt, wo ich gelebt habe, als meine<br />

Mutter starb», sagte er leise. «Einer von denen, die das Gebot der<br />

Nächstenliebeernst nahmen. Er kümmertesich um dieelternlosen<br />

<strong>Kinder</strong> in der Stadt, er gab uns zu essen und schenkte uns abgelegte<br />

Kleider. Und er unterrichtete uns. Von ihm habe ich lesen und<br />

schreiben und rechnen gelernt, Latein und sogar ein bisschen Griechisch.<br />

Es ist mir leicht gefallen, ich war ein wissbegieriges Kind.<br />

Drei Jahre nach meiner Mutter starb auch er.» Fabiou hörte ihn<br />

nach Luft ringen. Er sah ihn nicht an. Sein Blick folgte den Tauben,<br />

die hoch über der Stadt den Wolken zustrebten.<br />

«<strong>Die</strong> nächsten zwei Jahre war ich völlig mir selbst überlassen.<br />

Der Winter 1542 auf 1543 war sehr hart. <strong>Die</strong> Menschen verbarrikadierten<br />

sich in ihren Häusern, und es gab praktisch nichts mehr<br />

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