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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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«Hm…» Fabiou starrte nachdenklich auf die verwitternden<br />

Grabsteine. Dann fuhr er plötzlich auf. «Wart mal – du hast mir<br />

doch mal von diesen Annalen von Galaud erzählt! Da muss doch<br />

etwas dazu drinstehen, oder?» Galaud war ein ehemaliger Konsul<br />

gewesen, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hatte, eine Art<br />

fortlaufen<strong>des</strong> Jahrbuch der Stadt anzulegen, auf Latein auch noch,<br />

da er von «dieser Modeerscheinung, Französisch zu schreiben»,<br />

nicht allzu viel hielt. Er hatte dazu einen nicht sonderlich begabten<br />

Stadtschreiber abgestellt, der brav alles niederpinselte, was Galaud<br />

ihm in die Feder diktierte. Nach Galauds Ableben war die Sache<br />

schnell eingeschlafen, so dass die «Annalen» nur den kümmerlichen<br />

Zeitraum von 1532 bis 1550 umfassten.<br />

Antonius zuckte erneut mit den Achseln. «Möglich», murmelte<br />

er.<br />

«Kann man die nicht irgendwo einsehen, die Annalen?»<br />

«Hm. Ja. Wahrscheinlich.»<br />

«Und wo?»<br />

«Hm. Weiß nicht so recht. Ich habe gehört, die Stadt hat sie an<br />

die Universitätsbibliothek gegeben.» Bruder Antonius schien diese<br />

Angelegenheit nicht weiter interessant zu finden, er sah abwesend<br />

einer Schwalbe zu, die über dem Friedhof ihre Kreise zog.<br />

«Meinst du, die lassen mich da mal einen Blick ‘reinwerfen?»,<br />

fragte Fabiou aufgeregt.<br />

«Weiß nicht. Dubist schließlich kein Student.» Bruder Antonius<br />

stand hastig auf. «Ich muss jetzt gehen, ich bin schon zu spät für<br />

die Vesper!»<br />

Sie verabschiedeten sich vor dem Konvent. Fabiou machte sich<br />

auf den Rückweg, schlenderte durch die belebten Straßen der Stadt,<br />

schnupperte den Duft von Wärme und Fäulnis und Gebratenem,<br />

lauschte dem Zwitschern der Vögel, dem Klappern der Sandalen<br />

auf dem Pflaster, dem Fluchen der Kutscher an den Wegkreuzungen,<br />

wo der Verkehr sich staute. Er versuchte, Worte für all das<br />

zu finden, Verse, Reime, doch alles was ihm in den Sinn kam, war<br />

ein Sammelsurium an Farben und Formen ohne Sinn und Ordnung,<br />

und in jeden Vers, der aus einer Gasse von Ais emporstieg,<br />

mischtesich der Geruch <strong>des</strong> To<strong>des</strong>auf der Route d’Avignon .<br />

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