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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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Allgemeinen mit einer römischen Toga bekleidet war. Aber einen<br />

anderen Anhaltspunkt hatte er nun mal nicht.<br />

Fabiou brauchte fast eine halbe Stunde, um zu begreifen, dass<br />

es eine viel einfachere Methode gab, einen berühmten Dichter auf<br />

einer Festgesellschaft aufzuspüren: Man musste eigentlich nur den<br />

Damen zwischen fünfzehn und fünfunddreißig – gelegentlich auch<br />

älter – folgen, die paarweise oder in kleinen Grüppchen allesamt in<br />

dieselbe Richtung strömten.<br />

Der Dichter saß auf der steinernen Brüstung eines kleinen Pavillons<br />

im griechischen Stil und war umlagert von einem Trupp aus<br />

min<strong>des</strong>tens dreißig Damen, die nervös kicherten oder sich hektisch<br />

Luft zuwedelten – das Rauschen der unzähligen Fächer klang wie<br />

der Flügelschlag eines gigantischen Insekts. Er war geringfügig<br />

weniger attraktiv als auf den Zeichnungen, die Nase etwas größer,<br />

die Stirn etwas höher, das Haar nicht ganz so perfekt onduliert,<br />

und vor allem trug er keine Toga, sondern ein Wams und enganliegende<br />

Beinkleider. Im Moment war er ganz damit beschäftigt,<br />

die Ovationen der vereinigten Damenschaft entgegenzunehmen<br />

und hier und dort ein Gedichtbändlein mit seiner Unterschrift zu<br />

verzieren.<br />

Fabiou schob sich mit einem «Entschuldigt, ich bin beruflich<br />

hier», durch die Horde der Bewunderinnen, was ihm einige böse<br />

Blicke einbrachte, wenn die Damen es auch nicht wagten, ihn zu<br />

maßregeln, und erreichte somit schon nach etwa zehn Minuten den<br />

Dichter. «Bonjour», sagte er in seinem besten Französisch. «Mein<br />

Name ist Fabiou Kermanach de Bèufort.»<br />

Baïf, der gerade eine wahre Lobeshymne von einer pummeligen<br />

Schwarzhaarigen über sich ergehen ließ, wandte sich um und sah<br />

Fabiou mit einem nichtssagenden Lächeln an. «Ja?»<br />

«Mein Name ist Fabiou Kermanach de Bèufort», wiederholte Fabiou<br />

noch einmal. «Ich beabsichtige, ebenfalls Poesie zu schaffen.»<br />

Er hatte sich diesen Satz lange überlegt, er fand, es klang gut, viel<br />

besser als ‹ich möchte auch mal Dichter werden›, was ja wohl die<br />

Bemerkung eines Kin<strong>des</strong> war, während ‹ich beabsichtige, Poesie<br />

zu schaffen› seiner Beherrschung der französischen Sprache und<br />

seiner Fähigkeit, mit Worten umzugehen, hinreichend Ausdruck<br />

verlieh.<br />

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