04.11.2013 Aufrufe

Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Nicht, dass er Hector Degrelho vergessen hätte. Fehlschläge vergaß<br />

er niemals.<br />

<strong>Die</strong> Bleikugel kullerte in den Lauf und arretierte mit einem leisen<br />

Plop. Der Fremde visierte über den Lauf der Waffe hinweg auf<br />

den Türpfosten.<br />

Sie hatten das Wild auf einer Jagdlichtung gestellt, an einem<br />

sonnigen Nachmittag im Mai, an dem sich Lerchen singend in einen<br />

blauen Himmel aufschwangen und Rehe witternd im Unterholz<br />

ästen. Noch heute stand ihm je<strong>des</strong> Detail dieser Szene in unfassbarer<br />

Klarheit vor Augen; noch heute sah er je<strong>des</strong> Grasbüschel,<br />

jeden Stein am Wegrand mit einer Deutlichkeit vor sich, als wäre<br />

es eben gewesen.<br />

Besonders die Frau. Er hatte sie in der Kutsche erwartet, doch<br />

statt<strong>des</strong>sen war sie auf einem Pferd gesessen, in einem Männersattel,<br />

und im ersten Moment hatte er sie nicht erkannt, denn sie<br />

war gekleidet wie ein Mann, und nur die wehenden langen Haare<br />

verrieten ihr Geschlecht. Doch auch so war sie die schönste Frau,<br />

die er je gesehen hatte, anmutig ihre Bewegungen, strahlend die<br />

Augen, berauschend ihre Formen, ihr Gesicht. Als sie vom Pferd<br />

sprang, um die Tür der Kutsche aufzureißen, glich sie einer Tänzerin,<br />

und als sie dann, den Jungen an der Hand, über die Lichtung<br />

rannte, waren ihre Bewegungen leichtfüßig und geschmeidig wie<br />

die eines fliehenden Rehs, und ihr Haar schwebte auf dem Wind<br />

wie flüssiges Gold. Er hätte ihr stundenlang folgen können, sie nur<br />

beobachten, wie sie lief, wie ihre langen Beine gewandt ihren Weg<br />

nahmen. Doch er hatte keine Zeit dazu, und ihm wurde nicht einmal<br />

das Vergnügen zuteil, sie selbst zu töten.<br />

Da waren die <strong>Die</strong>ner. Kopflosen Hennen gleich liefen sie über<br />

die Lichtung, ein paar blieben liegen, getroffen von den Waffen<br />

der Kriegsknechte, andere flohen, stürzten sich ins Unterholz, eine<br />

schreiende, kreischende Herde. Und da war das Mädchen. Sie stand<br />

in der Mitte der Lichtung, stumm, starr, blaue Augen weit auf die<br />

Kämpfenden gerichtet. Sie rührte sich nicht, auch nicht, als sie sie<br />

riefen, Agnes, Agnes, der Edelmann, der auf dem Pferd saß und<br />

das andere Mädchen in den Armen hielt, sie blieb nur stehen und<br />

blickte aus ihren riesengroßen Meeraugen in die Welt. Und dann<br />

kam das dritte Mädchen herbeigeschossen, ein kleiner schwarzhaa-<br />

579

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!