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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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Sie war schnell gelaufen, und als sie das Studierzimmer erreichte,<br />

war Bruder Antonius noch nicht da. Vermutlich ließ er sich von<br />

Suso noch einen Willkommenstrunk reichen, oder er war Fabiou in<br />

die Arme gelaufen, der ihm wieder mit einer seiner Mordtheorien<br />

auf die Nerven ging. Sie seufzte, sie war furchtbar nervös und hätte<br />

das, was sie vorhatte, lieber schnell hinter sichgebracht.<br />

Bruder Antonius ließ sich Zeit. Auf dem Gang schlugen Türen,<br />

vom Stall her wieherte ein Pferd. Cristino trat an eines der hohen<br />

Fenster und spähte durch die Butzenglasscheiben. Verzerrt durch<br />

dasgeschliffene Glas sah sie unten Loís über die Straße laufen. Sie<br />

zog hastig den Kopf ein. Seit dem Fest der Mancouns war sie Loís<br />

aus dem Weg gegangen. Sie ärgerte sich selbst über ihr schlechtes<br />

Gewissen. Warum machte sie sich überhaupt Gedanken? Loís hatte<br />

sich wirklich unverschämt benommen, und er hatte es sic h selbst<br />

zuzuschreiben, dass Alexandre de Mergoult ihn geschlagen hatte.<br />

Überhaupt war es das gute Recht eines Edelmannes, einen ungehorsamen<br />

<strong>Die</strong>ner zu schlagen. Gut, sie war das eben nicht gewohnt,<br />

Frederi hatte noch nie die Hand gegen einen seiner Untergebenen<br />

erhoben, aber Frederi war ja auch ansonsten ein Weichling, und<br />

Mergoult, Mergoult war nun mal ein richtiger Mann!<br />

Dennoch. Der Blick, mit dem Loís sie angesehen hatte, trieb ihr<br />

noch jetzt die Schamesröte ins Gesicht.<br />

Sie lief zur Regalwand hinüber. Bücher, nichts als Bücher, endlose<br />

Reihen von Büchern. Ob all diese Bücher jemals von irgendjemandem<br />

gelesen worden waren? Von Oma Felicitas vielleicht?<br />

Oder früher von deren Mann, ihrem Großvater? Sicher nicht von<br />

Onkel Philomenus, und sicher nicht von ihrer Mutter. Und Vater?<br />

Gott, wo blieb bloß Bruder Antonius!<br />

Ihr Blick glitt über die Buchrücken. Unbekannte Titel, unbekannte<br />

Autoren, viele von ihnen noch relativ neu, die eingelegten<br />

Buchstaben auf dem Bundsteg blitzend in der einfallenden Sonne.<br />

Ihre Augen blieben auf einem hohen, dicken Buch hängen, Gott,<br />

was für ein Wälzer, er brauchte fast ein eigenes Regalfach!<br />

DE HUMANI CORPORIS FABRICA, Vom Aufbau <strong>des</strong> menschlichen<br />

Körpers, stand auf dem Buchrücken in silbernen Lettern.<br />

Andreas Vesalius, MDXLIII, 1543 .<br />

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