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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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Hinter ihr stand in der Tat jemand. Kein kleines Mädchen mit<br />

blondem Haar, sondern ein altes, in Lumpen gekleidetes Weib, in<br />

<strong>des</strong>sen faltigem Gesicht zwei dunkle Augen glühten.<br />

So schnell war Cristino noch von keiner Schaukel heruntergekommen.<br />

Keuchend stolperte sie ins Gras, wobei sie sich beim Aufkommen<br />

mit ihren zierlichen Schuhen den Knöchel verstauchte.<br />

Doch die Angst würgte ihr Jammern ab, mit geweiteten Augen<br />

klammerte sie sich an eines der Seile, während das Sitzbrett der<br />

Schaukel wild hin und her pendelte.<br />

Das Weib trat auf sie zu. So alt war sie gar nicht, schien es Cristino,<br />

das Gesicht war faltig, aber nicht runzelig wie bei einer Greisin,<br />

sie ging langsam, den Kopf zwischen den Schultern vorgebeugt,<br />

aber ihr Rücken war nicht rund wie bei den alten Bauersfr auen,<br />

und die derbe Haut, die die magere Hand umspannte, welche jetzt<br />

mit einem ausgestreckten Zeigefinger in Cristinos Richtung wies,<br />

war noch nicht brüchig und fleckig wie im hohen Alter.<br />

«Guten Tag», sagte Cristino schüchtern.<br />

Das Weib schritt weiter, der Finger wies wie ein Dolch auf Cristinos<br />

Herz. «Was tut Ihr hier?», krächzte sie mit heiserer Stimme.<br />

«Warum stört Ihr die Ruhe der Toten?»<br />

Oh je, das klang gar nicht gut. Genau genommen klang das verdächtig<br />

nach einer jener Gruselgeschichten, in denen sich die vorwitzige<br />

Magd nachts auf den Friedhof schleicht, und dann tritt ein<br />

Ritter im schwarzen Gewand auf sie zu und fragt: Was störst du die<br />

Ruhe der Toten?, und am nächsten Tag findet man die ausgebleichten<br />

Gebeine der Magd zwischen den alten Grabsteinen…<br />

«Wie-wie-wieso? T-Tote?»<br />

«<strong>Die</strong>s ist ein Ort der Trauer! Ein Ort <strong>des</strong> Gedenkens an die, die<br />

nicht mehr sind!», fauchte die Frau.<br />

Cristino sah sich ängstlich um. «Ist das … ist das hier ein Friedhof?<br />

Ich… ich dachte, es gehört noch zu dem Garten…» Wie blödsinnig<br />

diese Worte waren, wurde ihr bewusst, kaum dass sie sie<br />

ausgesprochen hatte – oder hatte man jemals von einem Friedhof<br />

mit Schaukel gehört? <strong>Die</strong> Frau schien ihre Worte aber durchaus<br />

ernst zu nehmen, sie schüttelte den Kopf und sagte: «Sie sind hier<br />

nicht begraben. Hier war der Ort, wo sie lebten, wo sie glücklich<br />

waren, bevor das Verhängnis über uns alle hereinbrach…» Das<br />

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