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Die Kinder des - Verlag Josef Knecht

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mit umgehen können, eine Vorstellung, die Cristino schlichtweg<br />

lächerlich fand. Hübsch musste sie gewesen sein, schön sogar, alle<br />

Bilder aus ihrer Jugend – von denen es einige gab – zeigten ein<br />

schlankes, anmutiges Geschöpf mit wallendem schwarzem Haar<br />

und dunklen Mandelaugen, über die sichfeingeschnittene schwarze<br />

Augenbrauen wölbten,dazu ein voller roter Mund in einem zarten,<br />

schmalen Gesicht, Zähne so weiß wie frisch gefallener Schnee und<br />

eine gerade, kleine Nase. Selbst heute, wo sie vom Gelenkreißen<br />

gebeugt war und sich nur noch auf einen Stock gestützt vorwärts<br />

schleppen konnte, lag noch ein Rest der alten Faszination in den<br />

dunklen Augen, war die Aura verblichener Schönheit noch zu ahnen.<br />

Ein schöner Körper, oh ja, hatte sie Onkel Philomenus einmal<br />

sagen hören, aber er birgt einen zänkischen, hochmütigen Geist.<br />

«… cruxifixus est etiam pro nobis sub Pontio Pilato, passus et sepultus<br />

est. Et resurrexit tertiadie secundum scripturae, et ascendit<br />

in coelum, sedet ad dexteram patris…»<br />

Philomenus war das älteste von fünf <strong>Kinder</strong>n, die Großmutter<br />

geboren hatte, und außer ihm und Madaleno de Castelblanc, der<br />

zweitjüngsten, hatte keines die ersten drei Lebensjahre überlebt.<br />

Der Vater, Senher Robon d’Auban, war 1536 aufdie kluge Idee verfallen,<br />

König François auf seinen Eroberungsfeldzug in den Piemont<br />

zu folgen. Auf dem wenig rühmlichen Rückzug war Robon<br />

den Folgen einer Verwundung erlegen und hatte seinen Sohn, der<br />

gerade die zwanzig überschritten hatte, sowie seine zwölfjährige<br />

Tochter als Halbwaisen zurückgelassen. Philomenus war gebildet,<br />

sprach Griechisch und Latein, kannte Gott und die Welt in Ais,<br />

und dies sowie sein ererbtes Vermögen und die ebenso ererbten<br />

Ländereien sicherten ihm einen Platz im Conseilde Ville. Wirklich<br />

einflussreich war er nicht, er war Senher und kein Graf, und über<br />

seine Ländereien lachte so mancher Baroun Tränen. Aber zumin<strong>des</strong>t<br />

fühlte er sich so. 1540 heiratete er Eusebia Mardou, niederer<br />

Adel wie er selber,die ihm bald darauf zwei Töchter und dann nach<br />

langen unfruchtbaren Jahren schließlich einen Sohn schenkte,<br />

Theodosius-das-Großmaul eben, der gerade mit den Beinen schlenkernd<br />

neben seiner Mutter in der Kirchenbank saß und intensiv<br />

damit beschäftigt war, mit seinem kleinen Messer die Armlehne<br />

zu seiner Rechten zu zerstückeln.<br />

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